Von der Trauer…

zum Gleichgewicht

Eine schwere Trauigkeit hat mich heute erfasst. Mit den Nachrichten im Fernseher und im Internet ist auch der reale Kloß im Hals angewachsen und spürbar dick geworden. Der Druck auf die Tränendrüsen war heute nicht mehr aufzuhalten. Mein ganz persönlicher Auslegungsstörfall. Zuerst ein grauer Schleier, ein verstopftes Emotions-Ventil, darauf folgt eine gewisse Fassungslosigkeit und Stille. Dann das kaum zu formulierende Gefühl, dass diesmal wirklich etwas schlimmes passiert. Immer in stiller Hoffnung, dass die Meldungen im Fernsehen doch nochmal besser, optimistischer werden und Entwarnung gegeben werden kann. Doch das Gegenteil ist der Fall und es wird derzeit noch schlimmer. Schon sieht man die ersten Anzeichen und das Groteske bahnt sich seinen Gang. Menschen, die hinter Scheiben eingesperrt werden und auf Grund ihrer Strahlung unter Quarantäne gesetzt werden. Das ist wie in einem Science- Fiction Film. Wer weiß, wie lange sie noch strahlen werden? Werden sie jemals wieder gesund? „Er sei beruhigt“ sagte ein Mann, der hinter der Scheibe Angehörige oder Freunde hat „sie sehen noch ganz normal aus“. Ja das ist das Tückische an der Strahlung. Man sieht sie nicht, man schmeckt und fühlt sie nicht und doch ist sie tödlich. Erst fallen die Haare aus, dann vielleicht die Zähne. Dann kommen die Schmerzen und schließlich der Tod. Manchmal auch in Form von Krebs, etwas verspätet.

Dass es selbst die schwarz-gelbe (Atomfarbene…) Regierung dazu bringt, einzulenken! Ich fühle mich fassunglos, extrem überrascht und fast ein wenig gerührt. Gleichzeitig ist es aber auch eine indirekte Bestätigung dafür, wie schlimm die Krise auch von der Regierung eingeschätzt wird. Oder geht es nur um die eigenen Felle, die angesichts der anstehenden Landtagswahlen wegzuschwimmen drohen? Nein, mein Gefühl sagt mir, dass es diesmal mehr ist. Dass Merkel und Westerwelle wirklich betroffen waren und dass es nun selbst bei konservativen, ehemaligen Atom-Befürwortern vielleicht doch noch ein Einlenken oder Umdenken geben wird. Denn an die Vernunft und die Einsichtsfähigkeit des Menschen sollte man immer glauben. Wer das nicht mehr kann, hat sie selbst verloren.

Aber muss es immer so weit kommen, bis die Vernunft über die (wirtschaftliche) Sturheit siegt? Warum müssen dazu 10.000 Menschen (und vielleicht noch vielmehr) sterben? Warum müssen dafür erst unzählige Quadratkilometer an kostbarer Natur -für was weiß ich wieviel Jahre- verpestet werden? Es ist das eigene Land, das man wegschmeißt. Es sind die eigenen Tiere, die vergiftet werden, die eigenen Immobilien, die wertlos geworden sind und letztendlich die eigenen Angehörigen, die gestorben sind und die eigenen Kinder, die keine Zukunft mehr haben werden. Gegen das Erdbeben kann man nichts machen, aber gegen die Atomkraftwerke sehr wohl.

Ich glaube, wir können uns das mit gewöhnlichen Mitteln gar nicht vorstellen, was eine nukleare Katastrophe bedeutet. Zu selten hat man eine erlebt, zu irreal sind die möglichen Folgen und es wird immer noch verdrängt, vertuscht und die Panik möglichst klein gehalten. Eine atomare Wolke, die mit Nordwind auf den 35 Millionen-Großraum Tokio zuweht? Unvorstellbar.

Und es geht uns ja auch nichts an. Japan ist ja weit weg! Der Wind steht günstig für Deutschland und Europa, also weiter zur Tagesordnung. Decke über den Kopf, Fernseher ausschalten und Zeitungen zusammengefaltet liegen lassen. Ist es so einfach?

Ich finde, die Zusammenhänge sind kaum zu übersehen. Wir sind alles Menschen. Über sieben Ecken kennt jeder Mensch jeden. Unser Genpool geht nach einer Theorie auf maximal 10.000 gemeinsame Vorfahren zurück. Es gibt viele Japaner, die bei uns in Deutschland leben und es wird auch einige Deutsche geben, die in Japan leben, studieren, Urlaub machen. Die Wirtschaften sind eng miteinander verflochten, wir kaufen fast jeden Tag japanische Produkte oder sind direkt oder indirekt damit in Verbindung.
Wir sind weder genetisch noch wirtschaftlich getrennt oder verschieden, noch was unsere gemeinsame Anlagen, Wünsche, Träume und Perspektiven angeht. Wir sind alles Menschen, wir wollen alle gesund, glücklich sein und in einer sauberen Welt auf einer gesunden Erde mit Zukunft leben. Das ist unser Recht, unser ureigenstes Recht und dafür müssen wir aufstehen und uns einsetzen!

Auch die Atomkraft geht uns direkt etwas an! Ganz Europa ist übersät mit Atomkraftwerken und selbst wenn in Deutschland alle AKWs abgeschaltet worden sind, sollte der Kampf gegen Atomkraft europaweit weitergehen. Wann wird man endlich einsehen, wie wichtig alternative Energiekonzepte sind? Und warum gibt es immer noch soviele, die meinen, dass es keine Alternativen gäbe?

Tja, der Mensch ist eben doch Egoist, wenn es um Energiefragen geht.
„Klimaschutz ist gut, wenn er nichts kostet“ las ich z.B. letzens im Umweltjournal.

Wenn man die (aktuellen) Erzeugerpreise von Atomstrom mit anderen Energieformen vergleicht, wird schnell klar, was der Knackpunkt an der Geschichte ist, das Geld.

So liegt der Erzeugerpreis pro Kilowattstunde bei 2,65 Cent bei Atomkraft, Braunkohle kostet 2,40 Cent, Wasserkraft 4,3 Cent und Windenergie ganze 9 Cent. Die Photovoltaik ist noch beinahe außer Konkurrenz und mit 54 Cent extrem teuer. ((Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Kernkraftwerk#Wirtschaftlichkeit ))

So einen tiefgreifenden Wandel wird man nicht zum Nulltarif bekommen. Aber im Grunde ist es doch egal, warum der Strompreis steigt. Ob das jetzt die Atomkonzerne sind, die sich die Taschen vollstopfen oder die Politiker, die die Steuern erhöhen. Zahlen muss man so oder so, denn ohne Strom kann niemand mehr leben.

Dennoch steigen Energie- und Stromhunger weltweit kontinuierlich an und scheinen von einer einzigen Konstante, der menschlichen Gier getrieben zu werden.  Denn „sinnvoll“ erklären kann man das schon lange nicht mehr. Mir fällt nur bei dieser Liste auf, wie stark Energiehunger und wirtschaftlicher „Erfolg“ miteinander in Bezug stehen.
Je erfolgreicher die Volkswirtschaften, desto größer ihr Energiehunger. Oder ist es umgekehrt?

Dass es mit erneuerbaren Energien eine sehr sinnvolle Alternative gibt, die einen hohen CO2 Ausstoß vermeidet und dabei gleichzeitig Werte und Arbeit schafft, zeigt z.B. diese Broschüre.

Und auch der Kapitalismus als Ganzes sollte endlich neue Antworten liefern, wie eine Wirtschaft gesund sein kann, ohne sich ständig vom Aufschwung- und dem unsäglichen Rendite- Dogmatismus beherrschen zu lassen. Kann es eine Wirtschaft geben, die gesund ist, auch wenn sie gerade nicht abnorm wächst und wuchert, wie beinahe ein krankhaftes Geschwür, dass dem Planeten Erde immer mehr an Lebensenergie raubt? Es wird höchste Zeit, darüber ernsthaft nachzudenken. Wir brauchen sinnvolle und nachhaltige Alternativen für eine gesunde Zukunft und die Abkehr von der Atomkraft ist nur ein erster, aber auch wichtiger Schritt.

Japan ist eine Warnung an die Welt. Ein Aufschrei der Natur, eine Zäsur, die dem Menschen zeigt: Eure Macht ist endlich. Baut keine Türme zum Himmel, baut eure Häuser kleiner und stabiler. Die Macht des Menschen als Ganzes ist endlich. Wirtschaftskraft um jeden Preis ist nicht alles. Was zählt, ist auch die Harmonie, das natürliche Gleichgewicht zwischen Mensch, Technik, Wirtschaft und Natur.

3 Gedanken zu „Von der Trauer…“

  1. Hallo Julia,

    danke für deine Artikel zum Thema Japan.
    Auch ich habe ähnliche Emotionen beim Betrachten der Bilder und Sehen der Nachrichten.
    Es mischen sich aber noch Gefühle der Ohnmacht und der Wut dazu.
    Ohnmacht, weil ich persönlich im Moment nichts für die Menschen in Japan tun kann; Wut über die Dummheit der Menschen im Allgemeinen.
    Wut über ihr Kurzzeitgedächtnis: Tschernobyl ist 25 Jahre her.
    Ich spielte Ende April 1986 gerade im Garten meiner Eltern als meine Mutter mich ins Haus rief und mir sagte was passiert sei. Ich war sehr verstört und habe es nicht verstanden damals, warum ich nicht mehr rausgehen durfte. Meine Heimatstadt wurde relativ stark verstrahlt durch einen warmen, angenehmen Frühlingsregen, der aus dem Osten Europas kam.
    Ich kann mich noch gut erinnern, in den ersten Jahren nach der Katastrophe war eine deutliche, starke Strömung gegen die Kernkraft zu spüren gewesen.
    Auch wenn ich vieles an meinem Heimatland nicht schätze, so aber doch die Entscheidung der österreichischen Bevölkerung von 1979 gegen die Kernenergie. Österreich ist eine der letzten westlichen Industrienationen, die kein AKW besitzt.
    Freilich, mein Land muss so einen Teil des Stroms aus ausländischen KWs einkaufen, um den Bedarf zu decken, das ist wiederum die Kehrseite der Medaille…
    Mit der Zeit wurde die Anti- Atomenergie Bewegung immer schwächer, die Menschen haben Tschernobyl einfach nach und nach vergessen.
    Ich frage mich: Muss denn immer erst das Schlimmste passieren? Müssen immer erst Tausende sterben, damit sich etwas ändert in den Köpfen der Menschen?
    Ist der Technikglaube wirklich die Staatsreligion Nummer 1 in der westlichen Welt?
    Der Fortschrittswahn hat uns dazu gebracht, innerhalb weniger Jahrzehnte das Gros der Resourcen unseres Planeten aufzubrauchen. Ich frage mich: Was werden die nächsten Generationen dazu sagen? Wie werden sie damit umgehen? Und: Hat die Menschheit überhaupt noch eine Zukunft oder ist sie durch ihr zu groß (?) geratenes Denkvermögen nicht zum Aussterben verurteilt?
    Ganz langsam und zaghaft kommen jetzt Ideen zum Schutz vor dem Klimawandel auf. Aber mehr als ein Phrasendreschen der Politiker, die den Klimaschutz als Ausrede für Steuererhöhungen hernehmen und als eine Image-Pflege so mancher Autobauer (Woher kommt denn der Strom für unsere tollen Elektroautos? Aus der Steckdose?) ist in Wahrheit nicht zu erkennen.
    6,93 Milliarden Menschen bevölkern die Erde. Und es werden bis 2050 neun Milliarden sein. Ich frage mich, wie soll das gehen? Wie soll der enorme Energieverbrauch zu decken sein? Unter anderem durch Atomkraft?
    Ich habe auf all das keine Antworten, keine Lösungen. Ich kann nur erkennen.

    Bitte entschuldige den holprigen und unstrukturierten Schreibstil; ich bin emotional etwas angeschlagen…

  2. Hallo Cathi,

    schön mal wieder von Dir zu lesen. 😉

    Habe das mit Österreich auch mitbekommen, in Deutschland wird ja gerade heftig über Atomkraft diskutiert. Wir sitzen tatsächlich inmitten einem Meer von Atommeilern und es gibt nur ganz wenige Länder in der EU, die darauf verzichten. Wie sieht es aus, gibt es bei euch eigentlich Windanlagen? Oder Solarpanels auf dem Dach? Hier sind sie inzwischen schon ziemlich verbreitet, aber obwohl sie tlw. die Aussicht verdecken (und in einer großen Anlage nicht unbedingt hübsch sind) decken wir erst einen kleinen Teil des Gesamtstrombedarfs damit (weniger als 20 Prozent).

    Trauer empfinde ich auch und Wut ebenfalls. Aber Trauer kann ich irgendwie leichter ausdrücken als Wut, und Ohnmacht empfinde ich als sehr belastend, so dass ich dagegen anschreiben muss.

    Mein Artikel ist auch eher holprig, aber ich wollte irgendwas dazu schreiben, einfach damit ich später nicht sagen kann, dass es mich nicht interessiert hätte und wir einfach so weitergemacht haben wie bisher.

    Am meisten regen mich die Leute auf, die es nicht beunruhigt oder die meinen, dass man daraus keine Konsequenzen ziehen müsste. Wie kann man nur so stur sein?
    Hätte man aus Tschernobyl mehr gelernt, wäre man jetzt weiter… aber lernen kann der Mensch nicht mehr so besonders gut.

    Die Gier ist stärker als die Vernunft.

    Ich hoffe dennoch, dass es dir gut geht und du bald wieder lächeln kannst. Lass Dich nicht von den Nachrichten runterziehen, manchmal muss man auch für ein paar Stunden abschalten. Danach hat man wieder Kraft.
    Es muss irgendwie weitergehen und solange die netten Stimmen des Planeten nicht verstimmen, sehe ich noch Hoffnung für ihn. 😉

    Viele liebe Grüße
    Julia

  3. Dass Du noch Worte findest, Julia. Ich glaube, Dir geht es so wie mir oft: Entweder keine Worte oder viele.

    Habe gerade eine Twitternachricht von evangelisch.de gelesen: „Erste Reaktorhülle in Fukushima bricht – #Atomkrise in #Japan erreicht neue Dimension“
    „Neue Dimension“, ja, anders kann man das nicht ausdrücken. Zu unfassbar.

    Eine Freundin von mir hat einen Sohn in Tokio. O je. Sie wird schwerst bewegt sein.

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