Wald-Spaziergang

Ich bin alleine mit mir und meinen Gedanken. „Raus, einfach raus!“ denke ich mir und schnappe mir die Kamera und den Autoschlüssel.
Das nahegelegene Waldstück ist nicht weit. Als ich angekommen bin, große Enttäuschung! Es blüht und wächst ja immer noch nichts. Nur ein paar langweilige Baumstämme und grau-braune Farbtöne.

Wie lange soll das noch dauern? Ungeduldig richte ich meine Kamera wie eine hektische Wald-Touristin auf alles, was mir vor die Linse kommt.
Doch das „schöne Bild“ will nicht entstehen. Dann irgendwann merke ich, wie hektisch ich bin und fange an, mich zu bremsen.
Die Bewegung an der frischen Luft tut ihr übriges. Es entspannt mich… ich überlege, dass ich mal mit der „Blende“ herumspielen könnte.
Kleine Blende stellt die Objekte vom Hintergrund frei, hohe Blende (geschlossene Öffnung) sorgt für mehr Schärfe und lässt die Bilder einfacher scharf stellen. Es gibt tausend Optionen in der neuen Kamera, ich bin ein bisschen überfordert. Es dauert, bis wir verschmelzen. Aber dann wird es immer besser. Mit der Zeit entstehen neue Objekte vorm inneren Auge. Da ein Baumpilz! Ein Mistelzweig und eine Beere. Ich fange wieder an zu sehen.

Auf dem einen Baum ist was kurioses zu sehen: Ein durchgestrichenes A und ein durchgestrichenes D. Was das wohl bedeuten soll?
Ich bin mir nicht sicher, aber das Bild wird irgendwie gut. Es ist abstrakt, es ist nichtssagend und damit entspannt es mich.

Dann irgendwann knie ich mich auf den Boden und versuche, dem Moos und den Blättern ganz nahe zu sein.
„Wenn mich hier jemand sieht, hält er mich für verrückt“ rufe ich meinem Begleiter scherzhaft zu, wie ich mich da verrenke und mit den Fingern das ausklappbare Display für die „Froschperspektive“ vorbereite. Es ist ein bisschen schwergängig, aber dann erleichtert die Klappfunktion die Bildsuche in schwieriger Lage.


„Ach weißt du, Fotografen sind doch alle so ein bisschen verrückt“ entgegnet er mir trocken.
Ich fühle mich für einen kurzen Moment peinlich berührt. Und fotografiere dann einfach weiter.

Zum Schuss kommen wir zur „Feldrandlage“. Die ersten Traktoren sind schon unterwegs und machen die Felder neu.

Auf dem Rückweg komme ich noch an einem Grundstück vorbei, das mitten im Wald liegt. In der Nähe sind Wohnhäuser. Noch vor kurzem hab ich mir sie angeschaut und gedacht, wie schön es ist, wenn man so direkt am Wald wohnen würde. Jeden Tag bei den Bienen und Blumen sein! Immer frische Luft, sobald man die Terrassen-Tür aufmacht. Durch die Bäume sehe ich große Schuttberge, dort wo einmal ein Haus gestanden hat. Irgendein neuer Käufer ist eingezogen. Er hat alles platt gemacht und baut sich dann eine neue Villa hin. Auf dem dazu gehörigen Waldstück sind Bäume und Äste gekürzt und aufeinander gestapelt worden. „Feindliche Besitznahme“ denke ich mir. Das gehört jetzt ihm. Da darf kein anderer hin. Er formt es nach seinen Gedanken. Es sieht unfreundlich aus. Dazu das passende Bild. Alles privat, alles seins.

Geteilt wird nur in der Natur. Und der Mensch ist ihr entwachsen.