Unerwartete Rückkehr

Blick nach Bad Dürkheim, im Vordergrund Weinberge, im Hintergrund Hügel und die Stadt

Und dann war sie plötzlich wieder da. Ich weiß nicht, wo sie sich versteckt hat. Warum das so lange gedauert hat. Unter welchen Stein sie gekrochen war. Was sie da verloren hatte?

Es hat lange gedauert mit ihr. Ich wollte sie zwischenzeitlich schon aufgeben.

Aber dann, an diesem schönen Nachmittag im März um 15 Uhr, da beschloss sie, all den Groll hinter sich zu lassen und ihr Herz wieder zu öffnen.

Es war eigentlich gar nicht so schwer. Sie wusste jetzt, was sie die ganze Zeit falsch gemacht hatte. Sie hatte zu sehr „festgehalten“. Festgehalten an ihren eigenen negativen Gefühlen.

Festgehalten an dem Gedanken, dass die anderen oder die Situation irgendwie schuld an ihrem eigenen Befinden waren.

Doch in dem Moment, als sie ihr Auto auf dem Parkplatz abgestellt hatte, die Kamera über die Schulter gehängt und den kleinen Waldweg „ins Nirgendwo“ betrat, da wurde es ihr plötzlich völlig klar. Die Natur erwachte zum Leben und so erwachte auch ihr Inneres wieder zum Leben.

Natürlich hingen da überall noch vertrocknete Blätter an den Bäumen und man konnte noch fast bis ganz zur angrenzenden Straße durchgucken. Es waren viele Menschen mit Autos und Motorrädern unterwegs und für einen kleinen Moment war sie auch wieder gestresst. Das ging immer schnell bei ihr! Aber dann, als sie immer mehr in der Natur abtauchte, da kam sie plötzlich immer mehr bei sich an. Ohne äußere Einflüsse, ohne Ablenkungen. Nur sie, ihre Gedanken und ihre Kamera, mit der sie die äußeren Reize ein bisschen besser betrachten und filtern konnte.

Es wurde ihr völlig klar, als sie mal einen kleinen Abstand, von vielleicht 15 km und 20 Minuten von ihrer vorherigen Situation hatte. Sie war weg von zu Hause. Weg vom Alltag, weg vom Haushalt. Weg von den Problemen, die keine waren und die sich einfach nur wie lästige Brocken in ihrem Kopf aufgestaut hatten. Jetzt begriff sie, dass sie das alles ganz leicht abschütteln konnte!

Sie begriff, dass ihr Mann und ihr Hund alles im Griff hatten. Dass sie sich keine Sorgen mehr machen musste.
Sie gingen ihren Weg. Sie waren ihn ohne sie schon gegangen und würden es auch weiter ohne sie tun.

Sie musste nicht ständig dabei sein. Man musste nicht ständig alles kontrollieren! Oder sich Sorgen, Angst machen und den Kopf zerbrechen. Man konnte die Leine locker lassen und buchstäblich würden sich die meisten Probleme in Luft auflösen. Ohne Spannung würde es sich leichter leben, als wenn wir alle mit 200 Prozent nach vorne stürmen und die Gegner aus dem Weg walzen.

Dieses Durchatmen an der frischen Luft war fantastisch. Sie ging zurück zu ihrem Parkplatz und betrachtete die Menschen, die dort ebenfalls eine Rast gemacht hatten und eine Pause vom „Lockdown“ brauchten. Man sah es ihnen ganz klar an, wie erschöpft die Menschen waren. Die Haare ungeschnitten, die Haut blass und schlecht durchblutet und auf dem Tisch vor ihnen stand ein alkoholisches Getränk. Und dann dieser Blick! Es war, als ob ein scharfes Laserschwert direkt durch sie durchgehen würde! Es war, als ob sie die kritischen und abwertenden Gedanken über sie beinahe hören konnte, auch wenn sie nicht ausgesprochen wurden.

Aber es war ihr egal, wie so oft. In der Ferne hörte sie Schüsse von Kleinkalibergewehren und in der Nähe war ein Hundeplatz mit großen schweren Schäferhunden. Sie hatte keine Angst. Im Gegenteil, sie fühlte sich wohl und wollte den Standort für die nächsten Fotos noch einmal wechseln. Denn sie hatte ja auch was zu schießen!

Es war dieser Weg, in den sie jetzt einbog, als die Erinnerung sich das erste Mal zeigte. Sie erinnerte sich daran, wie sie ihrer Freundin die Wegbeschreibung per Instagram geschickt hatte. Sie hatte extra ein Screenshot vom Online-Kartenanbieter gemacht und die Zufahrt mit dicken roten Pixeln eingezeichnet. Es sollte unfehlbar sein und ihre Freundin sollte den Weg auch in der anbrechenden Dunkelheit sicher finden.

Und sie fand ihn! Zusammen waren sie zum Standort, hoch oben über Bad Dürkheim gegangen. Die Kameraausrüstung und die Stative auf ihrem Rücken. Sie redete wie ein Wasserfall und war wie immer sehr fröhlich und aufgedreht. Zu dritt standen sie da jetzt und betrachteten das Feuerwerk vom Wurstmarkt. In der Glas hatten sie etwas zu trinken und weil sie soviel „Pufferzeit“ eingeplant hatten, ergaben sich nette Gespräche. Für mich war es die erste Langzeitbelichtung, das erste Feuerwerk! Ich hätte es ohne meine Freundin nie gemacht. Diese war unsicher, ob sie ein weitwinkliges Objektiv („damit alles draufgeht!“) oder doch lieber ein Teleobjektiv nehmen sollte? Im Nachhinein musste ich über diese Unsicherheit noch einmal nachdenken. Sie war extra zu einem Nachbarn gegangen, der da auch in den Weinbergen stand und das Feuerwerk fotografieren wollte. Sie redete mit ihm minutenlang, sie war freundlich und lachte- so wie sie auch zu mir war. Ich war ein bisschen eifersüchtig. Ich sagte zu ihr, dass sie natürlich ein Teleobjektiv braucht, „ein leichtes Tele, vielleicht 70 mm“, aber sie glaubte mir nicht. Der andere (ein Mann..) hatte sie überzeugt, dass ein Weitwinkel-Objektiv besser wäre. Er hatte keine Ahnung. Sie entschied sich für das Weitwinkel-Objektiv (war ja ein Bombentipp) und war später bitter enttäuscht, dass das Feuerwerk zu klein geworden war.

Seltsam, daran kann ich mich sehr gut erinnern, als da ich da wieder in den Weinbergen, genau an diesem Platz stand.

Es war der gleiche Ort, aber eine völlig andere Zeit. Damals waren wir im Herbst, bei anbrechender Dunkelheit und in der Ferne war das riesige Volksfest mit seinen tausend Attraktionen aufgebaut. Es war das Leben in der vollsten Blüte.

Und heute war ich hier alleine. Die Natur versuchte ihren ersten zarten Ausbruch und Pastelltöne hingen in den Bäumen. Es war auch schön, aber definitiv ganz anders.

Die Erinnerung an damals war plötzlich präsent wie nie. Sie war wieder da. Mitten in mir, mitten in meinem Herz.
Es war ein wohliges, warmes Gefühl, das überall strahlte. Es fühlte sich besser an, als der Groll, der jetzt schon fast zwei Jahre lang für eisige Finsternis und Einsamkeit gesorgt hatte. Es war der Lichtblick hinter dem Corona-Wahnsinn. Heute konnte ich ihn das erste Mal spüren.

Ich wusste plötzlich, dass ich diejenige war, die sie eingesperrt hatte und nicht mehr sehen wollte. Ich wusste, dass ich es sein würde, die sie wieder „herausholen“ musste. Aber es war nicht nur der Kontakt zu meiner Freundin. Es war vor allem der Kontakt zu mir selbst, der gefehlt hatte.

Ich wusste plötzlich, dass es nur weiter gehen würde, wenn ich dazu bereit war.

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