Ich möchte heute einmal den Fehler mache, meine unausgegorene, einseitige und vourteilsbehaftete Stammtischmeinung zu einem Thema abzugeben, von dem ich keine Ahnung habe und mir nur einbilde, dass ich sie hätte- so wie es Millionen Menschen in und außerhalb des Internets täglich tun.
Und zwar frage ich mich als politik-un-affine Bloggerin, wohin denn nun der Kurs der Politik gehen wird, ob man/frau schon erste Anzeichen für einen „change“ mit Trommelwirbel erkennen kann oder ob es die Verantwortlichen schaffen, alles noch im Verborgenen für sich zu behalten und die Pläne erst neu geschmiedet werden müssen?
Auffällig ist z.B. wie schnell die Politiker damit sind, in die Hartz IV Ecke zu greifen, ich denke dabei an den Vorschlag der FDP ein sog. Bürgergeld einzuführen, dass mit dem viel diskutierten „Grundeinkommen für alle“ so rein gar nichts zu tun hat
Wenn man dann mal diesen Text durchliest und überlegt, welche Sanktionen es schon jetzt gegen Hartz IV-Empfänger gibt, wird einem ganz anders.
Man verknüpfe das ganze mit der Zahl der Sozialleistungs-Empfänger insgesamt und kommt auf ca. 8,3 Millionen Menschen (2006 ((aktuellere Zahlen waren auch nach langer Suche leider nicht zu finden, hat vielleicht jemand einen Link? )) ).
Das macht angesichts der Bevölkerungsgröße ca. 10 Prozent aus, d.h. jeder zehnte Bürger in Deutschland ist bereits abhängig vom Staat, was eine nicht zu vernachlässigende Größe ist.
Wenn man die politische Debatte so verfolgt, bekommt man schnell den Eindruck, dass dieses Thema das Brandthema schlechthin ist, dass es die Menschen emotional sehr bewegt. Die Äußerungen von Herrn Sarrazin sind z.B. noch im Hinterkopf, aber auch die lauten Protestantworten und Versuche, ihn mit Worten und Taten in seine Schranken zu weisen. (Quellen gibt es dazu zuhauf, aber stellvertretend sei dieser Link genommen)
Rein laienhaft betrachtet ergibt sich aus all den Zahlen und Infos, die man zu diesem Thema so bekommt, der Eindruck, dass wir in Deutschland eine gewaltige Schieflage erleben, was zum einen die Zahl der Sozialleistungsempfänger, aber auch den richtigen Umgang damit angeht.
Das Thema Arbeitslosigkeit scheint ein empfindliches, wie kein zweites zu sein und das hat (psychologisch gesehen) mehrere Gründe:
- niemand möchte gerne arbeitslos sein, weil es bedeutet, von der Gesellschaft ausgeschlossen zu sein
- wenn ich keine Arbeit habe, kann ich nicht am Luxus und Wohlstand der restlichen Gesellschaft teilnehmen
- als Arbeitslose/r muss man sich ständig Sorgen um das Überleben machen, ständig jeden Cent umdrehen und hat Angst vor der Zukunft
- arm zu sein, bedeutet kein Geld für Kleidung, Nahrung und Medikamente übrig zu haben
- unter der Armut leiden vor allem die Kinder
- Armut ist ein Bildungsproblem und ein Problem von sozialen Schichten (gesellschaftliche Undurchlässigkeit)
- ich werde sozial ausgeschlossen und die Leute wollen mit einem Arbeitslosen nichts zu tun haben
- Arbeitslose müssen sich pauschal vorwerfen lassen, dass sie alle faul sind und „uns auf der Tasche liegen“, was natürlich nicht stimmt, wenn z.B. jemanden mit 50 gekündigt wurde und der 30 Jahre lang gearbeitet hat!
- Alle Leute, die Arbeit haben, achten peinlichst genau darauf, das andere sich nicht drücken
- niemand arbeitet anscheinend gerne, nur so ist es zu erklären, warum der Hass auf die „Drückeberger“ so groß ist
- Arbeitslose können sich nicht wehren, die großen Reden werden immer nur von reichen Leuten und/oder Professoren geschwungen („Oberlehrer“-Dilemma)
Überhaupt scheint es in dieser Debatte sehr viele Vorurteile und einfache Bilder zu geben, die unser Denken bestimmen. Der Mensch ist hier nur begrenzt fähig, sich eine individuelle und differenzierte Meinung zu bilden und das liegt nicht zuletzt auch an der persönlichen Einsicht und der Verlockung sich auf einfache Stereotypen einzulassen (z.B. Arbeitslose= faul ).
Stereotype und Vorurteile sind aber der natürliche Feind jeder nachhaltigen Lösung. Im Moment sieht es so aus, als ob wir von einer Lösung, die wirklich die Ursachen der Problematik angeht, noch weit entfernt sind. Wir schaffen uns immer wieder neue Feindbilder.
Niemand sieht gerne „Menschen im Jogginganzug durch die Straße schlurfen“, aber muss es denn sein, dass wir den Hass auf die Menschen richten? Sollte nicht vielmehr unser Mitgefühl geweckt und unsere Achtsamkeit auf den Staat, die Wirtschaft und die Einbindung aller Menschen in einen Arbeitsprozess geweckt werden?
Psychologisch gesehen ist ein Vorurteil der beste Weg, sich etwas schön oder schlecht zu reden und die eigentlichen Ursachen nicht erkennen zu können. Vorurteile sind bequeme Lösungen, aber sie helfen nicht.
Wenn man den Hass auf die „Arbeitslosen“ immer weiter schürt, wird es nur zu weiteren Kürzungen und Einschnitten kommen. Man bedenke hierbei z.B. dass die Wohnkosten-Beteiligung des Bundes schon jetzt klammheimlich und ohne großes Aufsehen gesunken ist und die Lasten nun auf Kommunen abgewälzt werden sollen, die angesichts wegbrechender Steuereinnahmen durch die Finanzkrise sowieso schon ächzen.
Ich finde, man sollte menschlich aber auch theoretisch und rein analytisch in der Lage sein, das Arbeitslosenproblem endlich zu ent-emotionalisieren. Es sollte möglich sein, Lösungen zu erarbeiten, die für alle Menschen von Vorteil sind, die Immigranten, Arbeitslose und andere- sowieso von der Gesellschaft schon ausgeschlossene- wieder zu integrieren, als sie nur künstlich immer weiter aufs Abstellgleis zu stellen.
Wer hat etwas davon, wenn ein paar Leute von der Wirtschaft und den Entwicklungen profitieren und immer reicher werden, aber der Rest vor einem Berg von ungelösten Problemen sitzt?
Diese sozialen Transferleistungen (übrigens auch die Renten!) müssen ja auch von allen aufgebracht werden. Man kann daher verstehen, dass diejenigen, die arbeiten, keine große Lust haben „Menschen in Jogginganzügen“ durch ihr Steuereinkommen indirekt mitzufinanzieren. Das erzeugt sozialen Brennstoff, von dem keiner etwas hat. Wenn die Politik nun in die gleiche Kerbe schlägt- wohin soll uns das führen?
Es ist paradox und gefährlich, wenn die Hilfsbereitschaft und die Einsicht der Solidarität immer weiter sinkt. Sarrazin ist nur ein Mensch, aber ich denke, er sagt oft etwas, dass viele Menschen in Deutschland (leider) auch denken. Dieser Hass gegen Arbeitslose, diese einseitige Stigmatisierung, das ist das eigentlich Gefährliche, dies gilt es zu überwinden. Nur dann wird man auch zu Lösungen kommen.
Hass ist die schlechteste Antwort auf eine Krise und Schieflage, vor der wir alle stehen. Jeder kann arbeitslos werden, jeder kann Verwandte haben, die weniger Glück hatten.
Es ist vielleicht schwierig zu verstehen, warum wir alle ein Volk sind, warum mich das Schicksal des Nächsten nicht auch was angehen sollte- und es ist schwierig für die Betroffenen aus dem Dilemma des sozialen Abstiegs herauszukommen.
Jeder kann und muss etwas dazu beitragen, es gibt keine bequemen und einfachen Lösungen.
Die Politik sollte sich endlich auf die Lösung all dieser Probleme konzentrieren, anstatt nur künstlich neue zu schaffen.