Gefühle in drei (vier) Akten

Gefühle sind in unserer Gesellschaft eigentlich kein seltenes Gut und die Medien sind voll mit überzogenen, meist auf Hass und Gewalt basierenden, negativen Gefühlen. Positive, authentische Gefühle sind hingegen selten und arten schnell in Kitsch aus. Vor allem das Bekennen zu Gefühlen oder den eigenen persönlichen Belangen wird dem modernen Alltag und der Gesellschaftsstruktur geopfert (es ist eben nicht schick oder der Karriere förderlich, sentimental zu sein). Wir müssen Gefühle je nach Situation unterdrücken oder lieber etwas indirekt ausdrücken, gerade wenn es um negative Gefühle geht. ((Der Psychologe Peter Lauster nennt das ganz allgemein in seinen Büchern das „vernachlässigte psychische Weltbild“))

Direkt ausgedrückte Aggressionen gelten als unreif, Weinen in der Öffentlichkeit als peinlich und dass die ganzen Leute ihr Privatleben auf Facebook ausspucken, als „dumm“.

Um also gesund und ausgeglichen zu bleiben, finde ich es sehr wichtig, dass man sich täglich mit eigenen Gefühlen auseinandersetzt und auch in der Lage ist, hin und wieder abzuschalten und das Bewusstsein für die Körper-Wahrnehmung hinter dem Alltag zu öffnen. Dabei kann das Ausüben einer Kunst sehr helfen.

Je nach Tageszeit können unterschiedliche Gefühle angesprochen und wahrgenommen werden, traditionell fühlt man morgens und tagsüber eher progressive, nach außen gerichtete Gefühle und abends die ruhigeren. (Zumindest ist das bei mir so, aber ich denke es hängt auch mit der inneren Uhr und anderen Faktoren zusammen)

Der folgende Text ist also nochmal ein Beispiel dafür, wie sich Musik beim Schreiben auf Gefühle und somit auch auf die Inhalte auswirkt. Ich hoffe, dass man den Effekt umgekehrt beim Lesen auch spüren kann. Der Text ist nichts besonderes- mehr ein „Anwendungsbeispiel“. Der moderne Computer macht es einem als Multimedia-Station recht einfach, beim Schreiben immer die passende Musik zu hören. Und ich kann es mir inzwischen fast gar nicht mehr anders vorstellen. Nur, wenn der Text sehr kompliziert ist und keinerlei Gefühle enthalten soll, lasse ich die Musik am besten ganz aus.

„The Day Before The Day“ – Dido http://www.youtube.com/watch?v=OJcrFfE5QMI
(weiblich, traurig, melancholisch, sanft)

Sie hatte Tränen im Gesicht. Dicke, große salzige Tropfen, die sich langsam von ihrer kugeligen Gestalt in kleine Rinnsaale auflösten, um dann Minuten später langsam und melancholisch über ihr glattes Gesicht zu streichen. Sie weinte, wie schon lange nicht mehr und sie war traurig. Gedanken schossen ihr durch den Kopf, aufregende, wechselnde Bilder, die man kaum auf etwas bestimmtes festlegen konnte. Bruchstückartig und intensiv drangen sie aus ihrem Unbewussten und überlagerten ihr normales Alltagsbewusstsein. Bunt und laut waren sie, schimmernd und berührend. Sie konnte sich dann selbst mit diesen Bildern quälen, sie immer wieder wachrufen und mit ihren Gedanken verstärken und wenn sie das so machte, hörte das Weinen überhaupt nicht mehr auf, vor lauter Selbstmitleid.

Am meisten dachte sie an ihren Freund, den sie gerade verlassen hatte. Hatte noch das Gefühl der Holztür in der Hand, die sie mit großer Wucht in den Rahmen geschlagen und sich anschließend selbst über das Donnern und die Druckwelle in ihrem Bauch gewundert hatte. Aber so aufgeregt, wie sie nach dem Streit war, war sie immun gegen jegliche Gefühle und vor allem immun gegen Angst. Es war einfach ein intensiver, kaum beschreibbarer Strudel aus Gewalt, aus Wut und aus Schadenfreude. Sie wollte es ihm, dem blöden Idioten, endlich mal zeigen und sie lachte innerlich auf, als sie daran dachte und schnaubte anschließend gefühlte 250 Gramm Inneres in ihr bereitgelegtes Taschentuch. Es war schon die zweite Packung angebrochen und eine kritische Stimme in ihr fragte (die Sachliche, die Alleskönnerin und die, die immer die Führung übernahm), ob es jetzt nicht langsam mal reichte, mit dem weinen?

„Brand New“ von Jesus Christ http://www.youtube.com/watch?v=aa_1hVJHccU
(ausgeglichen, optimistisch, beschwingt, neutral)

Aus dem Radio auf ihrem Tisch klangen allerdings so traurige Klänge an ihr Ohr, dass sie überhaupt nicht mehr aufhören konnte. Sie entkrampften ihre anfänglichen, chaotischen Gefühle erst langsam in einen lauwarmen Strom aus Klarheit, der ihr nach ein paar Minuten half, wieder in eine normale Spur zu kommen. „Irgendwie muss es ja weitergehen“ dachte sie absichtlich logisch. „Eigentlich war es auch mein Fehler.. ich sollte nicht so eifersüchtig sein“. Dann zog sie die Nase hoch.

Er hatte sie betrogen, vor ihren Augen mit einer anderen geküsst. Und dann hinterher, als sie ihn zur Rede stellte, noch ganz unschuldig und unwissend getan, das regte sie am meisten auf. „Männer, dachte sie sich. Männer sind alle gleich.“

Markus Schulz – „First Time“ http://www.youtube.com/watch?v=LyndQncxkLw (analytisch, positiv, mystisch)

Sie schaltete auf einen Sender mit Techno um. Das war gleich viel besser. Die Gefühle wurden nun viel seichter. Die Tränen versiegten und ihr Kopf verlor die Schwere und die Dumpfheit. Positive Gefühle drangen an die Oberfläche und sie war kurz davor, ihre Sachen zu nehmen und zum Einkaufen zu fahren, um sich ein wenig abzulenken.

Dennoch konnte sie diese innere Unsicherheit und ihr Gefühlschaos noch nicht wirklich abschalten. Es war, als ob ihr jemand den Boden unter den Füßen weggezogen hatte und sie war immer noch im freien Fall. Sie fühlte sich schwerelos an.

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„Wait and Bleed“ von Slipknot http://www.youtube.com/watch?v=K2u0rDQBQ9w
(positiv, männlich, aggressiv, progressiv)

Er startete den Motor und dachte an nichts. Sein Gesicht war erstarrt und die Augen finster.

Konnte es kaum erwarten, endlich auf die Autobahn zu kommen. Vor ihm, eine Fußgängerin die auf die andere Seite wechseln wollte, er gab Gas. „Müssen die immer hier auf der Straße laufen, gibt es dafür nicht einen Bürgersteig?“ Er hatte Hass in sich, sehr negative Gefühle und er dachte ständig an seine blöde Freundin und ihre dämliche Eifersucht. Die Fußgängerin sprang zur Seite, im Rückspiegel konnte er noch sehen, wie sie ungläubig den Kopf schüttelte. Er grinste.

Auf der Beschleunigungsspur angekommen, gab er richtig Gas. Der Motor heulte auf und das Drehmoment des Acht-Zylinders presste ihn in den Sitz. Endlich bekam er wieder gute Laune. Mit knapp 160 km/h fädelte er sich auf die dreispurige Autobahn ein. Jetzt gab er nochmal richtig Gas, wechselte auf die Mitte und dann gleich weiter nach links.

Er drückte die kleine Metallplatte immer weiter, bis er den Anschlag unter seinem rechten Fuß spüren konnte. Die Landschaft zog an ihm vorbei und die Tachonadel kletterte immer weiter, bis sie 220 km/h anzeigte. Das Fahrwerk war gut und schluckte jede Bodenwelle. Adrenalin wurde in seinem Körper ausgestoßen. Er versuchte zu vergessen. Seine Hände fingen an zu schwitzen, sein Mund wurde trocken. Hin und wieder schaute er in die Rückspiegel, aber da war niemand, der es mit ihm aufnehmen wollte. „Gut so“ dachte er sich und nichts weiter.

Er fuhr. Er war. Im Jetzt.

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