Ohne Gefühle

Ich hatte einmal eine sehr gute Freundin. Wir haben alles miteinander geteilt, wir konnten immer miteinander reden, ständig flogen die WhatsApp-Nachrichten nur so hin und her. Es war gewissermaßen die „Liebe auf den ersten Blick“. Ich sah in ihre Augen und wusste sofort, hier ist mein Gegenstück, die beste Freundin, auf die ich so lange gewartet habe. Die mich versteht, die auf meiner Wellenlänge funkt, die genau weiß, was ich meine, wenn ich was sage. Nein, bevor ich es sage. Sie muss nur in meine Augen schauen, ein paar Zuckungen beobachten und sofort weiß sie, was ich denke und fühle. Es ging so tief, von Anfang an. Und so kamen auch die Probleme. Sie erzählte mir alles. Von innen heraus, ihr ganzes Leben, sie machte nicht Halt und so kopierte sie den kompletten Inhalt ihres Gehirns (ca. 45 Terrabyte) in ca. 24 Stunden in mein eigenes kleines Gehirn, dass unter der Last ihrer Selbst-Offenbarung ein bisschen stöhnte.

Aber je mehr ich sie kennenlernte, desto mehr wurde mir bewusst, dass sie doch ein wenig anders war als ich. Ich „ließ es immer gut sein“, wollte mich mit den Menschen gut verstehen, aber sie nörgelte ständig an allem herum. Sie war ständig unzufrieden. Mit sich, mit ihren Bildern, mit ihrer Arbeit, mit ihren Beziehungen und das schlimmste war: am meisten war sie mit sich selbst unzufrieden. Und ich saß friedlich in der Ecke, baute an meinen eigenen Lebenstürmen und wollte sie beschwichtigen, aber mit der Zeit merkte ich, wie sie immer unzufriedener und unglücklicher wurde. Die „Likes“ waren ihr sehr wichtig, aber selbst wenn sie 100 oder 500 Likes bekommen hatte, reichte es ihr nicht ganz. Tief in ihrem Inneren war kein „Like“ und so konnten die vielen Bestätigungen, die sie sich von außen holte, ihre innere Leere leider nicht füllen. Ich merkte das irgendwann. Besonders schlimm war es, wenn ich Likes bekam. Da wurde sie schnell neidisch und gönnte mir die Likes nicht. Das belastete unsere Freundschaft sehr.

Eines Tages redete sie über ein Projekte, dass sie gerne realisieren würde und ich fand es gut. Als ich dann ca. eine Woche später dieses Projekte realisiert hatte, platzte ihr der Kragen. Wie konnte ich es nur wagen, diese gute Idee vor ihr zu realisieren? Ohne sie um Erlaubnis zu fragen? Ohne schlechter zu sein, wie sie es von mir gewohnt war? Das war der Punkt, wo die Freundschaft an ihre Grenzen kam. Wo sie nicht mehr bereit war, mit mir „befreundet“ zu sein. Wir waren uns zu ähnlich geworden und die eine gönnte der anderen den Erfolg nicht mehr.

Die Freundschaft zerbrach. Lange saß ich vor den Scherben und überlegte mir, dass es vielleicht noch ein Zurück geben würde. Dass irgendjemand von uns „den ersten Schritt“ machen würde und die Flaggen auf Versöhnung setzen würde. Aber in der „Versöhnung“ steckt das Wort „Sohn“ und wir waren leider Schwestern. Also gab es keine „Verschwesterung“. Alles blieb wie es war. Sie ging ihren Weg und ich ging meinen. Es war so, als ob wir uns nie gekannt hätten. Von heute auf morgen. Es war einfach vorbei. Da war keine Reue, keine Liebe, aber auch keine Eifersucht mehr, kein Neid. Wir hatten einfach alle Gefühle von heute auf morgen eliminiert. Es tat uns beiden gut. Wir waren geheilt. Es gab keine Konkurrentin mehr, also gab es auch keine Probleme mehr. Es war eine herrliche Stille, die monatelang andauern sollte. Niemand wollte diese Stille verlassen. Sie gleitete langsam in die große „Corona-Stille“.

Eine endlose Ruhe, ohne Gefühle.

Ich weiß nicht, ob diese Stille irgendwann endet. Ob es wieder ein „Zurück“ gibt, aber das ist sehr unwahrscheinlich. Ein „Zurück“ würde ja bedeuten, dass wir unseren inneren Entwicklungsprozess umkehren müssten. Dass wir zu einem Punkt gehen müssen, den wir schon längst überwunden haben. Es ist unwahrscheinlich, dass das passiert.

Wahrscheinlicher ist, dass man ähnliche Menschen trifft, mit denen man ähnliche Prozesse durchmachen wird. Und mit jedem Menschen, den man so trifft in seinem Leben, gibt es unterschiedlich starke Entwicklungsprozesse. Es gibt welche, die dauern nur kurz und dann wiederum gibt es welche, die werden einen das ganze Leben begleiten!

Freundschaften auf Instagram

Kann man auf einer Plattform wie Instagram Freunde finden?

„Das ist ungefähr so einfach, wie auf einer Formel 1 Rennstrecke einen Menschen zu finden, der in Ruhe ein Pläuschen mit Dir halten will!“

Nein, Spaß beiseite. Die Frage ist ziemlich schwierig zu beantworten. Man kann durchaus Freunde finden, aber man muss ein paar wichtige Dinge beachten und die Spielregeln dort kennen. Denn wie bei jedem menschlichen Miteinander finden sich dort erstmal Menschen ohne größeren Vorbedingungen zusammen und die Regeln entstehen quasi „von selbst“ in einem sich selbst-regulierenden System. Von Seiten des Anbieters wird ja die „Freundschaft-Funktion“ nicht sonderlich geregelt oder verwaltet. Man kann jemand anderen folgen, der kann zurückfolgen, dann kann man sich Nachrichten mit einer ziemlich einfachen und intuitiven Chat-Funktion schreiben.

Die Software gibt zwar das grobe System vor, aber was der Mensch daraus macht, ist mal wieder völlig ihm selbst überlassen! Zuerst ist es so, dass große Anbieter und Sammler von Daten wie Facebook oder Instagram alles dafür tun, damit sie deine Bilder bekommen. Sie profitieren davon, weil sie dann herausfinden können, wo sich ihre Nutzer so rumtreiben, welchen Kaffee sie gerade trinken, in welchem Restaurant sie sind, wer eine bestimmte Location aus welchem Grund toll findet – usw !! (Stichwort Datensammelwut) Außerdem bekommen sie völlig kostenlos eine riesige Menge an Bilddaten völlig umsonst auf ihre Server geladen, mit denen sie auch noch tun können, was sie wollen, denn die Bildrechte werden zum großen Teil abgegeben. Die Nutzer profitieren wiederum von einem völlig kostenlosen Dienst und der Möglichkeit, für sich selbst und ihre Arbeit „Werbung“ zu machen. Also tut man alles dafür, dass die eigenen Fotos gut werden und versucht, die eigene Arbeit zu optimieren.

Die große Frage aber ist, warum tun das Menschen eigentlich? Warum verbringen sie soviel Zeit mit dieser Tätigkeit, die keine unmittelbare materielle Belohnung gewährt und die auch augenscheinlich nach etwas „unfairen“ Startbedingungen verwaltet wird?
Wenn die Nutzer eigentlich genau wissen, was mit ihren Daten passiert und dass andere – nämlich der große Dienstleister im Hintergrund – die Kohle damit macht?
Neben der Werbemöglichkeit ist der wichtigste Grund wohl das soziale Feedback, der „Like“. Menschen wollen für ihre Arbeit gelobt werden, sie wollen Feedback bekommen. Entweder in Form von Likes oder von Kommentaren. Hauptsache man wird beachtet. Dieser Antrieb ist für den Menschen anscheinend sehr groß und stellenweise eine größere Belohnung als Geld. Es ist dabei auch völlig egal, ob du die Person kennst, die dich gerade likt. Es geht immer wieder um neue Menschen und man muss streng genommen zu dem einzelnen keine Beziehung aufbauen. Eine Freundin von mir sagte „Wenn ich ein Bild hochlade, möchte ich neue Follower gewinnen. Die alten sind mir ja sowieso schon treu!“. Und sie postete daher ihre Bilder immer genau zu der Uhrzeit, wo man das meiste Feedback erwarten kann und am ehesten neue Menschen dazu kommen (in der Feierabend Zeit zwischen 18 und 20 Uhr). Es geht also um „viele Menschen“, nicht unbedingt um „gute Beziehungen zu einem einzelnen Menschen.“ Ich saß mit ihr im Café und wollte mit ihr reden, sie sagte aber „warte mal bitte, ich muss gerade mal ein Story-Posting machen“ und sie postete ein Bild von unseren Drinks in der untergehenden Abendsonne. Das war schön, zweifelsohne. Ich aber fühlte mich verraten. Warum sollte es jetzt die ganze Welt wissen, was wir machen, wo wir sind und wer alles dabei ist? Die schöne Stimmung war ein bisschen zerstört worden. Und dass alles nur, damit andere applaudieren oder im schlimmsten Falle neidisch sind?

Normalerweise kann man sich auf Instagram sehr gut mit anderen vergleichen und schauen, was die anderen so machen. Man kann sich für seine Arbeit Inspiration und Anregung holen. Wer einen kreativen Beruf hat, kann sich neue Anregungen holen (z.B. Design-Ideen, Foto-Vorlagen, interessante Videos, Musik, usw.) oder Menschen kennenlernen, die ähnliches tun und für sich ähnliche Dinge interessieren. Wer etwas macht, was andere ganz besonders toll finden, wird dann irgendwann „Influencer“ genannt. Aber ich habe festgestellt, dass man auch schon mit wenigen Leuten „Influence“ kreiert und von anderen nachgemacht wird (Beispiele dafür folgen in einem gesonderten Artikel). Wenn andere Leute Deine Arbeit und somit auch Dich wertschätzen, hast Du schonmal eine Grundlage für ein interessantes Gespräch. Denn nichts ist wichtiger, als ein „gemeinsames Thema“. Ob dann wirklich eine Freundschaft daraus entsteht, liegt an euch beiden.

So schön das Like-System auch funktioniert, es bleibt ständig im Hintergrund als „Bewertungsmaßstab“. Das ist schwierig, weil man sich (ob man will oder nicht) immer ein wenig daran orientiert. Wer hat wie viele Follower? Wer bekommt mehr Likes für ein Bild? Über wen spricht man öfters? Und wer wird öfters mal gefeatured? Auch wenn man selbst sehr gut ist, wird man immer wieder Leute finden, die „mehr“ haben und einen größeren Einfluss generieren. Das materielle Denken schlägt also voll zu und man kann ihm auch in der virtuellen Welt nicht entkommen. Es ist sogar bekannt, dass die Menschen, die viel Zeit mit sozialen Netzwerken verbringen, insgesamt materialistischer veranlagt sein sollen als andere.

Männer nutzen Instagram dazu, um schöne Frauen zu finden und sich deren Bilder anzuschauen. Frauen wiederum genießen die Zuwendung und die Aufmerksamkeit, die ihnen entgegenschlägt.

Und dort soll man jetzt Freunde finden können? Das ist sehr schwierig. Denn eine gute Freundschaft muss ja eigentlich frei von solchen äußeren Maßstäben sein. Frei von Vergleichen, frei von sexuellen Bedürfnissen und frei von Neid. In einer Freundschaft muss man den Menschen mit seinen Gefühlen sehen können, mit seinem Wesen, seinen Ängsten und seiner Person. Instagram ist aber eine Schein- und Blendwelt. Die Menschen zeigen dort alles, aber nicht ihre wahre Seite, ihr wahres Ich. Auch wenn es die Möglichkeit eigentlich geben sollte, denn niemand gibt ja vor, mit welchem Inhalt das nächste Foto versehen werden soll. Die Möglichkeit ein Foto hochzuladen, ist erstmal ein weißes Blatt Papier und der Inhalt wird vom Menschen und seinen inneren Entscheidungen bestimmt.

Auf Instagram versucht jeder, sein bestes nach vorne zu krempeln, um die Zahl der Likes und der sozialen Rückmeldungen zu erhöhen. Jeder zeigt nur sein persönliches „Schaufenster“, niemals aber das ganze Wesen. Für sozial akzeptierte Fotos und Bildaussagen bekommt man Zuspruch und die anderen stürzen ins Bodenlose. „Der Markt“ ist da gnadenlos und sortiert erbarmungslos aus. Frauen werden belohnt, wenn sie ihr Äußeres präsentieren, Männer für „Leistung“ und gute „Arbeit“. Generell bekomme ich für Story-Postings, die einen materiellen Bezug haben (was hab ich mir gekauft, etc.) mehr Feedback als für Posts, die sich hauptsächlich auf meine innere Einstellung und persönlichen Gedanken beziehen.

Ich habe daher festgestellt, dass die persönlichen Treffen mit anderen Instagrammern einen ganz anderen Charakter haben und für mich viel wertvoller sind als das ganze Herumgewische auf dem Handy. Ich würde es jedem empfehlen, sich mit den Leuten hinter den Accounts zu treffen. Es ist eine schöne, bereichernde Erfahrung, weil man die Menschen ohne „Schutzhülle“ und ohne Maske kennenlernt.

Solche Treffen zu organisieren ist schwierig. Vor allem die Zeit-Koordination macht Probleme. Alle Leute unter einen Hut zu bekommen und sei es nur für ein gutes „Instameet“, das vielleicht 30 Minuten dauert. Denn jeder hat ja heutzutage tausend Verpflichtungen und „immer irgendwas zu tun“. Entweder Arbeit, in der Familie eingebunden, mit Freunden unterwegs. Und dann soll man sich nochmal freie Zeit für völlig unbekannte Menschen freimachen? Die Bereitschaft sich darauf einzulassen, ist nicht besonders hoch.

Und wenn jemand kommt, dann sind es sowieso meistens die Leute, die friedlich im Umgang sind und einen ausgeglichenen Charakter haben.

Die Leute, die Instagram als große Leistungsshow sehen, werden nicht kommen. Oder sie kommen, um sich Applaus einzuholen, aber nicht, weil sie dich mit all deinen Schwächen und Stärken kennenlernen wollen.

Instagram ist nur ein Medium. Es liegt an Dir, was Du daraus machst.

Social Media

Ach, war das noch schön, als wir früher die Dinge einfach „für uns“ gemacht haben.
Wir haben ein schönes Bild gemalt und von hinten ist Mama gekommen, hat uns über den Kopf gestreichelt und gesagt „dass wir das schön gemacht haben“. Und wir fühlten uns einig und glücklich mit ihr, mit uns selbst und mit unserem Werk.
Es war alles okay, so wie es war. Du und sie, das Werk und dein Gefühl. Alles passte zusammen!

Und heute? Wird es alles auseinander gerissen und mit dem Like-System bewertet und eingeordnet.
Die Bürokratie und der Kapitalismus haben zugeschlagen! Alles fein säuberlich sortiert und nur Erfolg und Leistung zählen.
Wer die meisten „Likes“ hat, der gewinnt. Wer „Follower“ hat, der darf bestimmen und die anderen dürfen klatschen.

Zudem sind wir gläsern und transparent geworden. Jeder muss alles zu jeder Zeit und umfassend über uns wissen.
Wie in einer Schulklasse sitzen wir an großen Tischen und Bänken zusammen, jeder kann von seinem Platz aus den anderen sehen
und alles hören, alles mitbekommen, alles beurteilen.

Jetzt ist es nicht mehr „einfach schön“, jetzt müssen wir in den internationalen Wettbewerb mit anderen treten.
Als Frauen werden wir von anderen vor allem nach unserem Aussehen beurteilt. Ist sie noch Single? Wieviel wiegt sie? Schminkt sie sich?
Hat sie eine hübsche und nette Ausstrahlung oder ist sie eine Zicke?

Als Männer werden wir hauptsächlich nach unserem Wert, nach unserem Erfolg, nach Karriere und materiellen Dingen eingeordnet.
Bin ich genug unterwegs? Bin ich cool genug? Kann ich was bewegen oder bin ich mehr der Nerd mit Brille zu Hause?

Unsere Werke werden beurteilt. Bist Du originell genug? Was für eine Kamera wurde verwendet? Eine teure oder eine Billig-Knipse?
Verstehst Du was von Fotografie? Oder sieht es aus wie Käse? Bist Du immer im gleichen Land? Oder eher eine coole Globetrotterin?
Bist Du das klassische Landei zu Hause? Kannst Du kochen? Was arbeitest Du und wie ist Deine Rechtschreibung? Du wirst unheimlich unter Druck gesetzt – weil du dich selbst unter Druck setzt und es zulässt, dass andere Deine Gedanken lesen und leiten.

Welchem Standard willst du gehorchen? In welches Fahrwasser willst du dich begeben?

Was kannst du bewegen?

Wieviel willst du leisten?

Wann wirst du aussteigen?

Es ist alles möglich – mit Social Media.

Der Fall eines Prinzen

und der zurückbleibende moralische Scherbenhaufen

Zwei Perspektiven fehlen mir in den derzeitigen Guttenberg-Zu-Rücktritt-Berichten. Einmal: Die Gefühle und zum zweiten: die Rücksicht auf den Menschen.

Auch wenn ich weder Anhängerin der CSU bin und vor allem ihre Wertvorstellungen und konservativen Einstellungen nicht teile oder gut finde; auch wenn ich negativ bzw. etwas spöttisch über den Guttenberg-Vorgang geschrieben habe (und er im Kern ein politischer Skandal bleibt und auch für einen Rücktritt gereicht hat) und auch, wenn ich die Einstellung und die Bewegungen in der Netz-Gemeinde eher progressiv und gut, als schlecht finde; bei all den „trotz“ und „abers“…

Der Mensch Guttenberg tut mir leid. Er tut mir leid, weil er in ein System der Macht und Selbstbezogenheit gezogen worden ist. Er tut mir leid, weil er beneidet wird und die Medien und andere Menschen kollektiv auf ihn eingedroschen haben. Er tut mir leid, weil er gut reden konnte, meistens einen freundlichen bis authentischen Eindruck gemacht hat und eine neue Klasse von Politikern dargestellt hat. Wenn schon CSU, dann wäre Guttenberg das kleinstmögliche Übel gewesen. Der Mut zu Veränderung ist in dieser Partei ein kleiner Lichtblick und die Partei wäre gut beraten, diesen Aspekt weiter auszubauen. Für eine Pauli hat es ja dann leider doch nicht ganz gereicht, aber die Richtung stimmt schonmal!
Die Menschen haben Guttenberg gemocht, weil sie auf ihr Herz vertraut haben und nicht nur, weil sie ausschließlich die Springer-Presse gelesen haben.

Die Soldaten tun mir leid, weil sie eine wichtige Bezugsperson verlieren und jemand, der sich ihrer Sorgen und Nöte angenommen hat. Weil mit Guttenberg eine reisefreudiger und aufrichtiger, anteilnehmender Politiker zurückgetreten ist. Die jungen Menschen, deren Begeisterung für einen freiwilligen Dienst nun erst geweckt werden muss (und damit das eigentliche Problem an der „Reform“ darstellen)… aber auch die alten und kranken Menschen, die von Zivis versorgt worden sind und über die kaum jemand mehr spricht. Ein Guttenberg hätte mit seinem Charisma viel Gutes bewegen können. Er war in vielerlei Hinsicht ein Vorbild, jemand zu dem man aufschauen konnte und leider auch jemand, den man hassen oder beneiden konnte.

Menschen lassen sich nicht täuschen, wenn es um Beliebtheit von Menschen oder Politikern geht. Guttenberg ist jung und mit seiner aristokratischen Wurzeln stellte er für viele Menschen eine Art „Ersatz-König“ dar. Es passte einfach alles zusammen: Jung, vermögend, eine hübsche Frau, fotogen, redegewandt, gebildet, ehrgeizig, erfolgreich und eine kometenhafte Karriere. Beliebtheit bei Partei-KollegInnen und bei den Menschen im Volk. Was kann ein Mensch mehr sein, wenn es um die reine Äußerlichkeit geht? Aber diese gläserne Podest, auf das er von allen gehoben worden ist, war zugleich sein Untergang. Während Frauen meistens vor gläsernen Barrieren oder Decken stehen und schon allein auf Grund ihres Geschlechtes niemals diesen Ruhm und diese Beliebtheit erlangen können, profitierte Guttenberg auch von seiner sportiven Männlichkeit, die den Idealtypus unserer Zeit wie kein zweiter repräsentierte. Auch gerade, dass er kein typischer Politiker zu sein schien und irgendwie locker und natürlich herüberkam, wurde an ihm geschätzt.

Mir tut er leid, aber mir tut auch das ganze Politik, Medien und Internetgeschäft leid. Eine Sache, warum ich immer weniger Lust darauf habe und mich schrittweise immer weiter davon distanziere, weil ich merke, wie falsch alles und jeder ist. Jeder beneidet und kritisiert den anderen, eine wirkliche Bindung gibt es zwischen den Leuten nicht. Und was ist die vielgelobte „Netzgemeinde“ denn oft, als ein sich mit Hilfe technischer Mittel zusammenrottender Mob, der danach schreit, den König zu stürzen? Mir tun die Leute leid, die nicht verzeihen können. Die solange auf den Fehlern und der Schwäche eines Menschen herumreiten, bis dieser unter dem Druck zusammenbricht (oder alternativ: sich umbringt). Mir tun die Leute leid, die von vornherein behaupten müssen, dass das Leben kein Ponyhof sei oder Mitleid grundsätzlich nicht zu erwarten sei. Nein, Mitleid gibt es nicht in der Welt „da draußen“. Und gibt es Mitleid in der Welt „da drinnen“ oder ist sie schon gänzlich ausgehöhlt und zerfressen von Ehrgeiz und Neid?
Was ist Neid? Neid deutet darauf hin, dass dem Menschen etwas fehlt und weil es ihm so sehr fehlt, gönnt er es auch einem anderen nicht. Neid ist Mangel im menschlichen Bereich und er ist ziemlich verbreitet. Niemand ist zufrieden, niemand ist gesättigt. Der Konsum oder die Arbeit allein sorgen nicht für Glück. Glück sind kleine, unsichtbare Momente. Großmut, Verzeihen, sich etwas schenken, Zeit geben, die Stärken sehen, loben.

Mir tun die Menschen leid, die in so einem System leben und so eine Art von Politik hervorbringen. Wo sich Neid und Betrug mehr auszahlt, als intensive Arbeit und qualifizierte Recherche. Wo die Titel und Posten, das Gehalt mehr zählt, als der langsame und auf gesunden Füßen gewachsene Fortschritt. Das ist das traurige daran. Es ist traurig, wie qualifizierte Menschen an so einem System zerschellen, weil sie den Verlockungen nicht widerstehen können. Das System wird auch nicht besser, wenn wir darüber schimpfen. Es entsteht kein menschlicher Wandel auf der Basis von Neid, Gier oder Hass.

Das einzige was man braucht, um glücklich zu sein ist Toleranz, Vergebung und viel, viel Geduld.