Kein Ohr

das dir zuhört, kein Auge, das dich sieht
nur eine Stimme die dich ermahnt
und ein erhobener Zeigefinger,
der dein Schicksal in Schubladen steckt.

Ich hab derzeit keine große Lust zum Bloggen. Wenn ich überlege, schon das ganze Jahr nicht und angefangen hat es bereits im letzten Jahr. Ich merke, wie ich immer gleichgültiger werde. Den Themen gegenüber, der Aufregung, die damit verbunden ist, aber auch über mein eigenes Selbstbild, wie ich vielleicht dastehen könnte, ob andere mich angreifen, was andere denken…

Angefangen hat das schon lange. Ein schleichender Prozess, wie bei einer Krankheit, der immer stärker wird. Wenn ich zurückblicke, habe ich mich seit letztem Jahr von allen Kommunikationsmitteln des Internets zurückgezogen, weil sie mich irgendwie „enttäuscht“ haben oder nicht das boten, was ich wollte. Zuerst habe ich das Chatten aufgegeben, nach einer kurzen Testphase Facebook, dann Twitter. Geblieben ist eigentlich immer nur das Blog, aber selbst das macht mir derzeit keinen Spaß mehr. Und die Mails natürlich, die tlw. das Bloggen verdrängt haben und ein ganz guter Ersatz dafür sind.

Ich habe es also tatsächlich geschafft „internetfrei“ zu werden- die Frage ist nur, vermisse ich das? Oder was hat mich enttäuscht? Liegt es an den Medien oder vielleicht eher an mir selbst?

Immer wenn ich in Gesellschaft mit anderen bin, fällt mir auf, was mich eigentlich stört. Man redet viel über Politik, es wird viel „kommuniziert“ und tlw. auch hitzig ausgetauscht… aber die Art und Weise der Kommunikation stört mich immer mehr. Ich habe z.B. keine Lust mehr, mich in ein Thema reinzusteigern und mit Energie gegen eine Wand zu reden. Ich habe das Gefühl, dass es alles nichts bringt. Man kann mit dem Blog die Welt nicht verändern, man kann das noch nichtmal in einem Gespräch zu zweit oder zu dritt. Daher kommt es mir vor, wie vergeudete Energie. Nutzlos, Sinnlos, überflüssig. Die Menschen haben doch ihre Meinung und jeder macht das, was er für richtig hält. Selbst, wenn man mit einem Menschen sehr verbunden ist, kann man dessen politische Meinung kaum ändern. Man kann sich über den Geschmack des Essens streiten, das neue Auto begutachten, Verbesserungen beim Renovieren vorschlagen, man kann über einen Kinofilm reden- aber in der Politik schalten die meisten Menschen sehr schnell auf stur- oder sind komplett desinteressiert, was sich hinter der Sturheit meistens verbirgt. Wenn man wirklich interessiert sein möchte, muss man sein Herz öffnen. Man kann ein Thema nicht allein mit dem Kopf diskutieren. Aber auch eine allzu große Emotionalität ist nicht von Vorteil. Wer sich politisch engagieren will, muss als ganzer Mensch dabei sein. Wer sich aber öffnet und mit dem ganzen Herz dabei ist, wird auch verletztlich und angreifbar- verständlich, dass die wenigsten Menschen diesen Preis dafür bezahlen wollen, denn es ist auf menschlicher Ebene anstrengend.

Die Kinder in Somalia verhungern weiterhin, für die Jugendarbeitslosigkeit in Europa wird nichts gemacht und die Mächtigen pflegen weiterhin ihre „Politik der harten Hand“ und die damit verbundenen Vorurteile. Was soll man schon ändern können? Dieses Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit ist eigentlich das, was Ärger und Zorn, im anderen Fall aber auch Resignation und Depression auslöst. Es sind emotionale Haltungen, die wiederum emotionale Reaktionen herausfordern. Und hier ist die politische Situation auch sehr eng mit der gesellschaftlichen und damit auch der psychologischen Situation der Menschen verknüpft- ein Grund, warum man das eine nicht wirklich vom anderen trennen kann. Wenn man einen Menschen gesund sehen will, muss man seine Gesellschaft kennen und wenn man die Gesellschaft kennen und lieben will, muss man die Politik durchleuchten.

Und auch ich bin davon betroffen.Wie lange mache ich das Blog schon? Wie lange rede ich in der Öffentlichkeit über Dinge, prangere an oder analysiere, benenne und diskutiere? Und wieviel „mächtige Personen“ hatten die Zeit oder das Ohr oder haben kommentiert oder sich an mich gewandt? Wieviele andere Bloggerinnen und Blogger gibt es im Internet und was haben die bewirkt? Außer weiterhin das Schmuddelimage der bösen freiheitsliebenden Blogger zu haben und dann mit Gewalttätern in einen Topf geworfen zu werden (letztens einen derartigen Artikel in einer Zeitung gelesen)? Jaja, die Blogs sind an allem schuld! Dass man sich so frei äußern darf und auch extreme Ansichten von der Meinungsfreiheit geschützt sind, das ist nicht gut.

Ich möchte nicht vermessen klingen. Natürlich hat man als kleine bis Kleinst-Bloggerin nicht das Recht sowas zu erwarten. Schon gar nicht, wenn man eher passiv vorgeht und wartet, dass andere aktiv werden und eher vom Küchentisch als von der großen Weltbühne aus diskutiert.
Aber mir fällt das immer wieder auf. Die Resignation und die Gleichgültigkeit beginnt im Kopf und damit beginnt sie auch an der Schnittstelle zur Außenwelt- dem Blog und die darein geschriebenen Gedanken, in beiden Richtungen.

Das Internet ist zwar frei, aber es ist auch beliebig. Das lässt mich immer mehr zu dem Schluss kommen, dass man im Internet alleine eigentlich nichts bewirken kann. Dass man den Austausch mit anderen braucht, den direkten Kontakt und das Sprechen von Mensch zu Mensch. Wer auf gewaltätige Zustände im Leben und der Gesellschaft mit gewalttätigen oder zynischen Worten oder Taten reagiert, wird in seinem Leben überhaupt nichts bewirken. Es wird dadurch nur alles schlimmer. Die Gewalttäter werden in den Knast gesteckt und diejenigen, die mit Worten „gewaltig“ umgehen, nicht mehr ernst genommen und weiter ausgegrenzt. (oder im Falle eines Sarrazin sogar besonders stark gehört und von vielen, die ähnlich denken hofiert und geschätzt)

Mal ehrlich- erwartet jetzt irgendwer, dass die Ausschreitungen in London und im restlichen England irgendwas an der Situation der Jugendlichen ändern werden? Diese Gewalt ist eine extreme Form der Meinungsäußerung, eine extreme „Freiheit“, die die Rechte und Grenzen der anderen nicht mehr respektiert.

Obwohl die Unzufriedenheit so extrem und der wirtschaftliche Schaden der durch Plünderungen und Brandschatzungen entstanden ist, jetzt schon enorm- man schafft es immer noch auf „stur“ zu schalten und die wahren Ursachen nicht sehen zu wollen- wie kann man dann erwarten, dass friedliche und demokratische Menschen mit ihren Blogs und Facebook-Seiten oder Twitter-Äußerungen irgendwie „gehört“ werden? Es spielt dabei keine Rolle, dass die Plünderer kriminell sind und die Masse der Blogger absolut gesetzestreu vorgehen. Beide Gruppen sind irgendwie unzufrieden und wollen gehört werden- und beide Gruppen schaffen es nicht. Wie lange hat der norwegische Amokläufer seine Unzufriedenheit und seinen Hass in die Welt posaunt- mit wieviel Energie hat er auf sich aufmerksam gemacht? Und wer hat auf ihn reagiert? Wer hat ihn ernst genommen? Wo waren die Psychologen, wo waren die Eltern, die Erziehungspersonen, der Staat, die Behörden, die „verantwortlichen Stellen“? Für mich ist das Versagen in Norwegen auch das Versagen der Verhinderung so einer Straftat, dass man es nicht im Vorfeld erkennen konnte, was für ein Spinner da rumläuft. Das ist das Versagen der vielgerühmten, freiheitlichen „Zivilgesellschaft“, die im Kern vielleicht gar nicht so stark und frei ist, wie sie sich manchmal gibt.

Letztens las ich sogar von einem abstrusen Vorschlag unseres Innenministers: Er meinte, man solle die Anonymität des Internets aufheben und jeder soll nur noch mit seinem echten Namen schreiben dürfen. Das zeigt, dass man vom Internet so gut wie gar nichts versteht und immer mit den gleichen Mustern auf Probleme reagiert, die man sowieso nicht lösen will.

Sturheit auf der Seite der Mächtigen- das Unvermögen der kleinen Bürger sich Gehör zu verschaffen, dass es in der Welt immer so weiter geht, und man im Grunde nur noch Spielball der Gezeiten geworden ist: Das ist der Nährboden für Depression und Resignation und im offensiven und schlechtesten Fall leider auch für Gewalt.
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Wo stehst du

Mutter und Kleinkind, die ganz alleine in der Brandung stehen (( by_Gabi-Schoenemann http://www.pixelio.de ))

Von vielen Lesern den vielen unsichtbaren Stimmen in meinem Kopf werde ich manchmal gefragt, was denn meine politische Einstellung wäre, da es manchmal so schwierig sei, mich darin eindeutig festzunageln. Es gäbe solche und solche Texte und ein Mangel an Eindeutigkeit sei immer mal wieder aufgefallen.

Ich sage ihnen dann ganz ruhig und unaufgeregt: „oh das ist nicht schwer – ich neige zu einem ganz eindeutigen links-mitte-rechts-grün-lila-grau-buntem Gedankengut mit ein paar Anleihen aus der orthodoxen Mitte, nicht aber ohne die winzig kleinen Nuancen des Rechts-Außen, durchsetzt mit nicht wenigen feministischen Gedanken, die dann wiederum mit paternistischen u. patriarchalischen Streitschriften abgeschlossen werden. Also eigentlich ganz einfach.“

Nein, genau deswegen, weil ich mich eigentlich nicht festlegen kann und will, bin ich Bloggerin geworden.

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