Der Verbaucher war´s

Habe mir heute den Artikel über Wasserverbrauch auf Zeit.de durchgelesen, weil mich die Schlagzeile stutzig gemacht hatte. Jetzt nach dem Lesen bin ich auch nicht viel schlauer als sonst, auch wenn ich die Argumentation des Autors etwas gewagt finde. Warum soll es denn gut sein, Wasser NICHT zu sparen? Neben all den Effekten mit der Spülung der Abwasserrohre (vielleicht kleinere Rohre bauen?) gibt es doch einen wichtigen psychologischen Effekt: Wasser ist kostbar und es steht nicht allen Menschen in Hülle und Fülle zur Verfügung. Wasser ist das Element des Lebens und es ist schlimm genug, dass wir damit unsere Abwasser entsorgen und es nicht nur zum Kochen und Trinken verwenden. Natürlich bringt es nichts, wenn wir hier in Deutschland Wasser sparen und es in Afrika zu wenig davon gibt. Darum geht’s aber auch nicht. Es geht um das Bewusstsein für die Ressourcen und Wasser ist eben gerade, weil es bei uns so üppig zur Verfügung steht, eine Sache, die man auch leicht einsparen kann. Beim Strom oder der nicht endenden wollenden Öl/Spritpreis-Debatte ist das schon viel schwieriger. Und der Verbraucher spricht hier eine eindeutige Sprache: Ja ich bin zum Einsparen bereit und ja, ich habe ein Problem mit zu hohen Kosten! Jetzt eine Pauschale einführen zu wollen, weil zu wenig verbraucht würde, wäre ja absurd! Man würde ja auch keine Strompreis-Pauschale einführen, nur weil die Verbraucher ihre Geräte abschalten und weniger als 1.500 kwh im Jahr verbrauchen.

Nein, Sparen darf nicht bestraft werden und ein ökologisches Bewusstsein auch nicht. Es wäre aber wichtig, mal darüber nachzudenken, wo der sekundäre Wasserverbrauch besonders hoch ist, was im Artikel ja auch angesprochen wird. Wie ist es z.B. mit der Landwirtschaft, die als ein großer Wasserverbraucher gilt und über billige Discounter, billige Lebensmittel sehr viel (oftmals zuviel!) produziert. (zum Nachlesen z.B. hier oder hier ) Das ist für mich wahre Verschwendung, und es ist ein Fehler, wieder alles auf den Verbraucher abzuwälzen. Der Verbraucher wirft die Lebensmittel nicht in den Müll, weil er nicht die richtige Erziehung oder einen schlechten Charakter hat (…), sondern weil es eben „nichts macht“, wenn die zerdatschte Tomate 30 Cent und das halbe, angeschimmelte Brot nur 50 Cent gekostet hat. Ein Wert oder ein Gefühl für ein Produkt bekommt man oft nur über dessen Preis.. je billiger etwas ist, desto leichter wird es auch weggeworfen.

Es scheint ein Trick zu sein, um argumentativ von den wahren Verursachern und Auslösern abzulenken und die Schuld denen in die Schuhe zu schieben, die sich nicht wehren können. Das mit dem Wasser geht in eine ähnliche Richtung. Der Verbraucher spart ja schon, wo er kann, wie die Erhebungen über den privaten Wasserverbrauch zeigen.

„Der Verbraucher will billige Lebensmittel“ heißt es in den Medien immer so schön, also produzieren die subventionierten Landwirte in Hülle und Fülle und die großen Handelsketten drücken den Erzeugern Knebelverträge auf den Tisch, damit sie auch weiterhin schön billig Butter, Getreide und Gemüse produzieren. Wie das geht? Mit Dünger, Wasser und Pestiziden natürlich! Und mit Öl, viel Öl für Landmaschinen, für chemische Produkte, für lange Transportwege für 1.000 verschiedene Waren auf zwei Meter Supermarktregal.

Vielleicht will das der Verbraucher alles gar nicht? Vielleicht wollen das nur die Discounter und großen Bauernverbände, damit der Reibach weiterhin stimmt… Vielleicht sollte man den Verbraucher einfach mal fragen…

Gedanken zum JMStV- Teil 2

Und noch ein guter Artikel zum Thema JMStV
Pornoindustrie regelt sich Jugendschutz neu- zu Lasten von uns allen

Was darin beschrieben wird, klingt nachvollziehbar.

Es geht beim JMStV eigentlich gar nicht um Jugendschutz. Den Politikern geht es um Glaubwürdigkeit, und dass „was getan“ wird. Der Industrie bzw. der Wirtschaft geht es um persönliche Interessen und Lobbyarbeit. Und darunter leiden muss- wie immer- die Allgemeinheit und die Leute, die am wenigsten was dafür können.

Interessant ist auch dieser Blog-Artikel auf Faz.net
http://faz-community.faz.net/blogs/deus/archive/2010/12/04/liebling-du-hast-die-kinder-vergessen.aspx

Hier wird endlich mal die Frage diskutiert, was Jugendschutz überhaupt ist, welche Rolle die Kinder dabei spielen und wie man „Sicherheit“ im Netz erreichen kann (nämlich hauptsächlich durch Schulung der Medienkompetenz).

Die Illusion des Virtuellen

woher kommt meine partielle Blogmüdigkeit?

Im Moment hat sich bei mir so etwas wie eine gewisse Blogmüdigkeit breit gemacht. Das ist an sich nichts ungewöhnliches oder schlimmes und wer das Blog länger liest, weiß, dass ich das regelmäßig habe. Ich will eben keine Maschine sein, die jeden Tag 20 Artikel raushaut, um dann in irgendwelchen Listen ganz oben zu stehen. Nein, der philosophische und menschliche, vielleicht auch persönliche Anteil war mir in den Texten immer wichtig gewesen. Ich denke, man kann Texte nur gut schreiben, wenn man einen großen Anteil eigener Person „untermischt“ und auch ganz explizit persönliche Anteile und Gedanken mitteilt. Würde man das nicht machen, kann man gleich zur News-Maschine werden, über SPON und die ganzen anderen Nachrichten-Portale eilen, das beste zusammenpicken und dann einen Zweizeiler dazu schreiben. Sicherlich ist das auch eine interessante Form des Bloggens, aber es liegt mir persönlich nicht. Ich möchte in eine News einsteigen, ich möchte die Tiefe ergründen, ich möchte Menschen (und vor allem mich selbst) zum umdenken bewegen.

Schwarz, weiß oder bunt?

Das ist nicht immer ganz leicht. Nehmen wir z.B. die Integration-Debatte, die es derzeit in den Medien gibt. Obwohl wir im Land mit der Geschichte größter Grausamkeit im Namen der Andersfeindlichkeit leben und wir über 60 Jahre Aufklärung, Geschichtsstunden und Museen über unsere dunkle Vergangenheit haben, eine Grüne Partei die stärker als je zuvor ist, gibt es immer noch genügend Menschen, die ausländerfeindlich sind, Stammtisch-Parolen raushauen, über Hartz IV-Empfänger schimpfen und alle recht ungeschickt mit dem farbenfrohen Malkasten der gängigen Klischees hantieren.

Und die politische Kultur erscheint mir in allen Bereichen so einseitig. Es gibt kaum noch vernünftige Mittelwege. Der Streit um Stuttgart 21 hat das ganz gut gezeigt, wie verhärtet die Fronten sind und dass es für viele Menschen nur noch schwarz/weiß gibt.

Es gibt daher keine Partei, aber vor allem auch keine politische Denkrichtung, der ich mich vorurteilsfrei und mit gutem Gewissen anschließen kann. Wenn ich darüber blogge, dann liebe ich es, beide Seiten einzunehmen.. mich in der Mitte beider Gedankenfäden eine Weile zu verirren und am Ende in einer Idee wieder zu finden, die ich vorher so nie erwartet hätte.

Warum kann man nicht gegen Atomenergie, für höhere Hartz IV-Sätze, aber auch für ein Wirtschaftsprojekt wie Stuttgart 21 sein?

Warum kann man sich nicht für einen Mindestlohn starkmachen, aber gleichzeitig die Unternehmen steuerlich entlasten? Warum kann man nicht das Renteneintrittsalter heraufsetzen und die gezahlten Renten dafür erhöhen? Warum kann man nicht gegen Ausländerfeindlichkeit sein, aber sich dennoch eine „gute Integration“ (z.B. Deutschkenntnisse) wünschen?

Der Mainstream lenkt die Aufmerksamkeit

Warum werde ich durch den Mainstream der Gedanken und Medien dazu gezwungen, mich immer auf eine einzige Linie zu schlagen? Reichen denn fünf oder sechs Parteien aus, um die ganze Vielfalt des Menschen und seiner Gedanken und Meinungen wider zu spiegeln? Ich denke nein.

Und das ist der Grund, warum ich derzeit wenig Lust auf das Bloggen, vor allem das politische Bloggen habe. Ich kann nur „erfolgreich“ sein, wenn ich bestimmte Klischees bediene und mich auf eine Linie festlege, die derzeit alle vertreten. Das engt den freien Geist aber ein. Ich möchte weiterhin vorurteilsfrei, parteienlos und klischeelos urteilen dürfen. Oder ich möchte eine Zeit lang das eine Klischee bedienen um kurzerhand zum anderen zu springen um damit die Absurdität des Ganzen zu verdeutlichen.

Aber es ist natürlich vermessen, zu erwarten, dass andere Menschen diese Meinung teilen oder man gar jemand mit dem eigenen Tun „überzeugen“ kann. Es geht nicht darum, ob man sich Mühe gibt, sondern darum, ob man Erfolg hat.

Überzeugen lässt sich per se niemand. Überzeugung, egal wie man sie äußert oder vertritt, ist auch immer Manipulation und Einflussnahme, es gibt keine „gute Überzeugung“, die ohne einen egoistischen Anteil auskommen würde.

Die Rolle der Blogs

Das bringt uns zur anderen Frage: Was können Blogs, oder vor allem: was sollen Blogs? Soll ich weiterhin über mein Privatleben schreiben und hin und wieder einen zusammengestellten Alltagsbericht „produzieren“? Soll ich mich politisch engagieren oder lieber ganz aussteigen und zur Nicht-Wählerin mutieren? Soll ich eine direkte Ansprache wählen, soll ich mich bemühen, jemand zu belehren und zu bekehren?

Ich denke inzwischen, dass man das alles nicht kann, ohne sein Gewissen zu verbiegen. Die Begründung ist ganz einfach: Die Mainstream-Medien erzeugen Aufmerksamkeitswellen, verstärkt durch soziale Netzwerke wie Twitter oder Nachrichten-Portale mit vielen Besuchern. Die tägliche News ist das Geschäft, nicht das tiefgehende Sinnieren über eine News oder gar die Diskussion mit Menschen untereinander, die darüber nachdenken und auf Augenhöhe austauschen wollen. Wir als Blogger wiederholen also nur diese News und kommentieren sie allenfalls, falls wir überhaupt diese Kapazitäten haben, um jede einzelne News auch in ihrer vollen Länge geistig-mental und mit großem Sachverstand und umfangreichem Allgemeinwissen zu „durchleuchten“. Wenn wir das wollen und könnten, würde es ganz gewiss ein Fulltime-Job werden.

Wir dringen in Normalfall niemals in die Tiefe. Die News-Welle überrollt uns alle und bindet die Aufmerksamkeit. Nehmen wir die Vorurteile und die Klischees. Wie kann man sie ändern? Ganz bestimmt nicht über eine Klischee- oder Anti-Klischee-Welle, weder über rechts-ruck Unternehmerfreund- und Anti-Hartz Parolen, noch über das gutmenschen-linksgerichtete, Korksandalen-tragende, frauenfreundliche, sozialistische Gemengelage..

All das bringt den Menschen nicht weiter und all das ändert eine Gesellschaft nicht. Indes, wir bauen einfach neue Fronten auf, wir lernen dabei unseren Mitmenschen niemals kennen. Wir ärgern uns über diese schlechte Welt, bemerken aber nur selten, dass wir es mit unseren Gedanken sind, die sie täglich neu erfinden. Wie in einer Matrix sehen wir die Welt durch einen Schirm, aber wir sehen nicht die Welt, so wie sie eigentlich ist. Wir sind blind geworden für die Realität, weil unsere Meinung sich über die Schirme und die Buchstaben bildet.

Wir erschaffen uns schlechte Menschen, wenn wir blutrünstige Krimis mit paranoiden Persönlichkeiten „konsumieren“. Wir sind es, die ausländerfeindlich sind, wenn wir hinter vorgehaltener Hand über ein Kopftuchmädchen lästern. Wir sind es, die die Leser betrügen, wenn wir uns freundlich und offen geben, aber hinterrücks vielleicht 2.000 Identitäten besitzen. Es ist nie „die Gesellschaft“ die schlecht ist, es sind auch nicht „die Politiker“, es sind weder „die Unternehmer“ noch „die Frauen“, es sind auch nicht die „Rentner“, nicht „die Machos“ und auch nicht die Spontis, Radikalen, Rassisten, Extremisten und wie sie alle heißen.

Fazit

Es sind einzig und allein wir, der einzelne Mensch, der das Zünglein an der Waage ausmacht. Und es ist eine große Last, das im vollen Ausmaß zu erkennen und zu akzeptieren. Die Aufklärung hat uns mündig gemacht, aber gleichzeitig mit hoher Verantwortung für uns selbst und die Gesellschaft beladen.

Der einzelne ist aber nur schwer zu erfassen, also verallgemeinern wir. Vereinfachen wir uns die Sicht, in dem wir das geliebte Werkzeug der Abstraktion benutzen. Wir teilen das Individuelle auf und fassen es in überschaubaren Gruppen zusammen. In immer kleineren Gruppen, bis nur noch ein Satz übrigbleibt, ein Gedanke. Vielleicht ein ausländerfeindlicher Gedanke, vielleicht ein feministischer Glaube oder eine religiöse Überzeugung. Aber stets, nur kleine Fragmente eines großen Ganzen, aufgeladen mit mentaler Energie, geschärft durch das Feuer des Wortes, und emotional-eisig wie der nahende Winter.

All das macht nicht frei. Im Gegenteil, es macht müde. Man dreht sich und dreht sich und bleibt doch auf der Stelle. Es gibt kein Entkommen, die Menschen sind eben schlecht, die Gesellschaft egoistisch und geizig. Das Gute zahlt sich nicht aus, also warum noch an das Gute glauben?

Und was soll der einzelne Blogger schon dagegen machen? Er beobachtet, er schreibt und er ändert doch nichts.

Er kann nichts ändern, weil sich nur die Menschen selbst ändern können. Es ist nicht die News-Welle, die zu Glück führt, sondern nur das eigenständige Denken und das unmittelbare Wirken im Jetzt. Es gibt nichts darüber hinaus, was nicht den Deckmantel und die Illusion des Virtuellen hätte.

Stuttgart 21, weitere Eindrücke (+ Links)

Zu Stuttgart 21 habe ich beschlossen, vorerst keine endgültige Meinung zu bilden. Wie so oft, je mehr Meinungen ich mir darüber einhole, desto unklarer wird das Bild. ((dazu gibt es sogar eine Gesetzmäßigkeit: Je mehr Informationen man über eine Sache hat, desto schwieriger ist die anschließende Handlung; manchmal ist es besser, mit nicht allen endgültigen durchgekauten Argumenten einfach zu handeln; und eine nur 50%ige Sicherheit ist dann besser, als eine theoretische von 100, die es in der Realität fast gar nicht gibt. Dieser Zusammenhang wird z.B. hier näher erläutert.))

Nach meinem letzten Artikel, der am Ende in Richtung Satire gegangen ist, erhoffte ich mir vom Lesen eines Spiegel-Artikels und das Anschauen der heutigen Maybrit Illner – Sendung mehr Klarheit und Einsicht in die wirkliche Lage der Dinge, vor allem in die versprochenen „Sachargumente“, die sich nun mit der Vermittlung von Heiner Geißler jeder auf die verbalen Fahnen schreibt.

Aber obwohl der halbwegs mündige Bürger durch Nachrichtensendungen, Radio-Spezialberichte und tausenden andere Quellen ständig Meinungsfragmente und Wertungen erhält, fehlen auf dem Bodensatz der Diskussion noch immer die zurückgebliebenen Argumente. Wie ich im Nachhinein festgestellt habe, sind die Informationen aus dem Web, vor allem aus den Blogs, die besten und haben die meisten Details. Die Informationen, die man über regionale Zeitungen oder TV-Medien erhält, allerdings sehr dürftig.

So frage ich mich nach der Illner-Sendung immer noch, wofür der Bahnhof eigentlich steht? Wie wird er einmal aussehen? Was sind die Vorteile des neuen Bahnhofes und sind sie realistisch begründet? Warum hat kein Projekt-Befürworter auf dem Talkshow-Sessel Platz genommen und sich Frage und Antwort gestellt?

Wird der neue Bahnhof eines Tages wirklich Arbeitsplätze schaffen und wenn ja, wie viele und in welchem Bereich? Stehen die Kosten dazu in positiver Relation? Werden dafür auf der anderen Seite vielleicht Arbeitsplätze abgebaut? Wo ist der genaue, verkehrspolitische Unterschied zwischen einem Kopfbahnhof und einem Durchgangsbahnhof? (Stuttgart 21 ist letzteres; siehe hierzu auch die Links) Dazu brachte der Unternehmer (über den auf Twitter manche Leute gesagt haben, er würde klassische negative Unternehmer-Vorurteile bedienen) das Argument, dass er in China für die altmodische Infrastruktur in Deutschland belächelt wurde, was wiederum in ihm Aggressionen und Wut ausgelöst hat. Der Wortlaut des Chinesen war ungefähr „Deutschland ist ein lebendes Museum“. Wer die Bilder von aufstrebenden, chinesischen Städten im Kopf hat und diese mit der behaglichen Skyline deutscher Städte vergleicht, kann das wohl bestätigen. ((auf diese Aussage konnte man im Netz das Gegenargument lesen, dass die chinesische Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik nicht unbedingt nur ein Vorbild sein kann, da sie eben auch Fehler macht, wenig auf Nachhaltigkeit setzt und beispielsweise Umweltzerstörungen in Kauf nimmt; ein Punkt, auf den die demokratisch geschulten und mitdenkenden Menschen in Deutschland sehr feinfühlig reagieren ))
Skyline von Frankfurt

Aber dennoch, dieses wichtige Argument der Wirtschafts- und Fortschrittsgläubigkeit stieß nur auf wenig Begeisterung im Publikum, welches in Talksendungen immer als Resonanzverstärker der aktuellen Meinungen dient und daher von der emotionalen Wirkung nicht unterschätzt werden darf. Ich interpretiere das so, dass inzwischen für viele Leute der reine Fortschritt oder das Erreichen einer geldwerten Rendite nicht mehr das oberste Ziel ist. Wichtig ist eben auch die ökologische Nachhaltigkeit, wichtig sind die technologischen und sicherheitsrelevanten Fragen, wichtig ist auch die Frage „in welche Richtung wollen wir überhaupt gehen?“ Viele Bürger sind sehr genau infomiert und sehen es nicht ein, für ein Projekt, das ihnen nicht wirtschaftlich sinnvoll erscheint, ihre Zustimmung zu geben.

Und daher ist Stuttgart 21, so fern dieses Schwaben-Projekt auch sein mag, eine wichtige Grundsatz-Entscheidung und Frage für alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Es geht um die Frage: Wie soll unser Land/ unsere Stadt / unser Bahnhof aussehen? Dieses ureigene Recht nach Selbst- und Mitgestaltung nehmen sich die Menschen, indem sie demonstrieren. Das ist für die Demokratie insgesamt gut und „für alle ein Gewinn“.

Im weiteren Verlauf der Sendung tat sich die wichtige Frage auf, wer den harten Polizeieinsatz vom letzten Donnerstag zu verantworten hat und von welcher Seite eigentlich die Gewalt ausging. Die meisten Talkgäste und auch das Publikum waren der Meinung, dass Gewalt keine gute Lösung ist und es bessere Wege geben sollte, um den Konflikt zu entschärfen. Der Unternehmer nahm die Polizei in Schutz und auch von Claudia Roth (Die Grünen) war zu hören, dass die Polizei mehr ein Instrument der Politik ist und dass diese den harten Einsatz absichtlich verursacht hat („Stefan Mappus wollte Blut sehen“). Dieses Argument wiederum wurde von Christian Lindner (FDP) nicht gerne gehört, der sich vehement dagegen wehrte und sinngemäß meinte, dass es so was in Deutschland nicht gäbe (dass absichtlich Gewalt angeordnet wird, um die Demonstration zu zerschlagen). Dennoch machten sich, auch angesichts der eingespielten Bilder mit blutüberströmten Menschen und Polizei-Gewalt gegen eine am Boden liegende Schülerin, deutliche Zweifel an der Angemessenheit des Polizei-Einsatzes breit. So seien die berüchtigten Wasserwerfer in Stuttgart seit 40 Jahren nicht mehr im Einsatz gewesen.

Interessant waren die Augenzeugen-Berichte einer älteren Dame, die auf der Demo anwesend war und selbst hinter den polizeilichen Absperrungen mit Wasser beschossen wurde und Reizgas abbekommen hat. Mit einer erschütterten und ängstlichen Miene schilderte sie ihre Erfahrungen und dass sie erschrocken über die Härte des Einsatzes gewesen ist. Selbst bekannte sie sich erstaunlicherweise zu einer „konservativen“ CDU-Wählerin. Das zeigt indirekt, wie weit der Widerstand gegen das Projekt inzwischen auch in gut-bürgerliche Schichten vorgedrungen ist.

Gelbe Blumen, Nahaufnahme

Die Diskussion versuchte sich weiter mit gegenseitigen Argumenten. So stellte Claudia Roth fest, dass auch der Juchtenkäfer ein Lebensrecht hat, was ihr in der Runde niemand streitig machte. Der junge Mann, Gegner von Stuttgart 21, verblasste ein wenig in der Diskussion und meldete sich nur selten zu Wort, so dass die Hauptargumente gegen Stuttgart 21 von Frau Roth vorgetragen und jedes Mal heftig kritisiert wurden. Sie musste sich vor allem den Vorwurf anhören, dass die Grünen derzeit auf einer Protestwelle reiten, das Projekt Stuttgart 21 instrumentalisieren und insgesamt auf „Wolke 7“ schweben, wie der Unternehmer spöttisch in die Runde warf. Und auch der Einspieler zu gewaltsamen Protesten gegen Atommülltransporte, der von grünen Politikern damals medial kritisiert wurde, verstärkte diesen Eindruck.

Von Frau Roth hätte ich mir insgesamt mehr Sach-Argumente und weniger Emotionalität gewünscht, hängen geblieben ist vor allem die Aussage, dass man mit einem Kopfbahnhof die regionale Infrastruktur/ den Nahverkehr stärken möchte (und ein wenig Abneigung gegen überregionalen Verkehr hat? Warum sollte nicht beides zusammen gehen? hier wäre vielleicht ein guter Vermittlungsansatz). Aber auch der Unternehmer bestätigte das Klischee und sagte durch die Blume, dass mit Stuttgart 21 vor allem Geld verdient werden soll.

Wertvoll für alle, war die Erkenntnis zum Schluss, dass man das nächste Mal vorher über dieses Großprojekt reden muss (die Zahl 15 Jahre stand im Raum und dass den Bürgern bereits zahlreiche Beteiligungsmöglichkeiten geboten wurden) und dann erst ein Planfeststellungsverfahren einleiten sollte. Dieses übrigens sei ein guter Anwärter auf das Wort des Jahres..

Darüber waren sich alle einig, und so besteht am Ende der Sendung die Hoffnung, dass man vielleicht doch nochmal „an einen Tisch kommen“, sachliche Argumente austauschen und sich einigen kann.

Wenn es auch keinen „halben Tiefbahnhof“ geben kann und mind. ein Beteiligter von seiner Schwarz-Weiß Position abweichen müsste. Was anscheinend allen ein wenig schwierig fällt.

Weiterführende Links
…und ein Großteil der vermissten Fakten finden sich hier: