An einem Tag in Duisburg

Gestern lief also diese Doku über die Loveparade mit dem Titel „An einem Tag in Duisburg“. Ich wollte sie mir zuerst nicht anschauen, da ich den Titel und die Aufmachung ein wenig zu reißerisch empfand und dann war da noch der Hinweis, dass stellenweise Ereignisse hinzugedichtet oder umgeformt wurden. Anscheinend ging es vielen Menschen so, denn mit einem Marktanteil von 5,6% und 1,53 Millionen Zuschauern war die Sendung alles andere als ein Einschaltquotenhit.

Das sind nicht wesentlich mehr Leute, als insgesamt auf der Loveparade waren. Man muss sich also fragen, wieso interessiert diese Sendung niemand? Wenn man doch selbst auf der Parade gewesen ist, dann sollte man doch wenigstens ein bisschen Interesse dafür zeigen- plus die Leute, die Verwandte oder Freunde dort hatten und dann noch die „allgemein interessierten“.

An der Qualität der Sendung kann es jedenfalls nicht gelegen haben: Die Doku war gut gemacht und zeigte in meistens chronologischer Reihenfolge den Ablauf der Ereignisse, die zur Tragödie führten. Manchmal wurden die Abläufe etwas durchmischt, um wahrscheinlich mehr Spannung zu erzeugen. Es wurde z.B. vom Vormittag der Parade plötzlich wieder auf die Planungs-Querelen im Vorfeld zurückgeschaltet. Die Schauspieler spielten ihre Rolle sehr gut und waren besser als in anderen Dokus dieser Art.

Zu wenig von allem

Im Mittelpunkt stand dabei der Veranstaltungspsychologe, der in einem kleinen Container vor Ort die vielen Videokameras überwachte, dabei versuchte, die Besucherströme zu lenken und über den Kontakt zu Polizei und Veranstalter jeweils bestmöglich einzugreifen. Schon hier wurden interessante Details in der Fehlplanung offenbart, die dann in ihrer Summe zum großen Unglück führten. Der Verbindungsbeamte zur Polizei hatte z.B. keine funktionierende Funkverbindung zu seinen Leuten, sondern versuchte mit seinem Handy zu kommunizieren. Er beachtete dabei aber nicht, dass bei sovielen Menschen an einem Ort die Netze heillos überlastet sein würden. Um einen Verantwortlichen zu holen und die Meldungen weiterzugeben, musste er also erst umständlich den Container verlassen. Ein weiteres Problem war, dass es auf der Parade keine Lautsprecheranlage (ELA) gab, mit der man die Masse über bestimmte Ansagen hätte steuern können. Auch eingreifende Menschen (sog. Ordner oder Pusher), die im Sinne der Organisatoren die Menschenmassen hätten lenken können, gab es viel zu wenig.

Die „Verstopfung“ an der Brücke (dem einzig möglichen Zulauf und Ablauf)  war also am Tag der Parade kaum noch zu bremsen oder aufzuhalten. Es fehlten einfach geeignete Mittel und Werkzeuge und die Planung war sehr schlecht bis ungenügend. Als dann noch die Kabel für die Videoüberwachung abrissen, weil die Menschen anfingen, an den Masten hochzuklettern, um irgendwie ins Freie zu kommen, war es endgültig vorbei.

Mangelnde Planung und Vorbereitung

Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt der Dokumentation war die Planungsphase und die Vorstellung der unterschiedlichen Menschen, die damit zu tun hatten. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Loveparade aus kommerziellen Gründen an einen Sponsor übergeben wurde. Die Stadt Duisburg hätte sich so ein Großereignis gar nicht leisten können, da sie finanziell schon beinahe handlungsfähig war. Dennoch gab es großen politischen Druck, um mit den Paraden in den anderen Ruhrstädten mitzuhalten und im Rahmen des Ruhr 2010 Projektes eine passende Großveranstaltung vorweisen zu können. Das erste Mal in ihrer Geschichte wurde die Parade abgesperrt und eingezäunt, wodurch sich auch andere baurechtliche Konsequenzen ergaben. Die Fluchtwege waren eindeutig unterdimensioniert und in der Reportage herrschte die Meinung vor, dass die Veranstalter trotz besten Wissens und Gewissens die Loveparade mit allen Mitteln und Wegen „durchzudrücken“ versuchten. Skeptische Meinungen wurden belächelt oder mit irgendwelchen Tricks ausgehebelt und unschädlich gemacht. Man gab z.B. zu, dass die Zahlen der vorherigen Loveparades gefälscht waren und in Duisburg wahrscheinlich gar nicht soviele Menschen kommen werden.

Allein schon das Konzept des Zulaufs war unzureichend. So stellte man z.B. fest, dass der Tunnel für eine Richtung die Kapazität von 70.000 Menschen aufwies, in der Planung aber bereits mit dem doppelten gerechnet wurde und zwar in unterschiedliche Richtungen! Dass dann am Tag der Loveparade nochmal deutlich mehr Menschen ankamen, als erwartet wurde, sprengte das Konzept der Zulaufes eindeutig. Das Gelände war insgesamt zu klein und der Versuch, durch die rotierenden „Floats“ (also die Wagen mit der Musik) die Besucherströme auf das Gelände zu ziehen, hat nicht wirklich geklappt.

In tragischen Bildern, die tlw. mit echten Aufnahmen vermischt wurden, wurde dann der genaue Hergang der Katastrophe dokumentiert. Wackelige Videos aus Handykameras sind hautnah dabei. Man sieht deutlich, wie die Besucherströme immer enger werden und am Ende überhaupt nichts mehr geht. Auch die verzweifelten Versuche der jungen Menschen, über die schmale Treppe zu entkommen oder über die Masten zu klettern, wurden aufgezeichnet. (( Hierzu gibt es auch sehr viele Videos auf Youtube, die allerdings nur von Leuten gesehen werden sollten, die das verkraften können und am besten volljährig sind; Youtube selbst scheint da nicht sehr viel zu zensieren; Ein verträgliches Video, das zumindest mal ein Gefühl für die Menschenmasse gibt, sieht man hier, eine Collage mit Bildern des Ereignisses hier ))

Augenzeugen

Wie bei solchen Sendungen üblich, wurden einige Augenzeuge interviewt, die dann die Geschehnisse erläuterten und mit eigenen Worten beschrieben. Da war z.B. das ältere Ehepaar, das eigentlich gar nicht auf die Parade wollte und dann doch überredet wurde. Oder die junge Frau, die ihrem besten Freund zuliebe auf die Veranstaltung gekommen war, um mit ihm dort Geburtstag zu feiern. Einige der Zeugen wurden in die Masse gedrückt und wären beinahe gestorben. Alle Menschen, die so nah dabei waren, leiden nun noch unter post-traumatischen Streßsymptomen, hauptsächlich Panikattacken , Angst vor Lärm oder Menschen und Schlafstörungen.

Auch ein Mediziner kommt zur Wort und erklärt in kurzen Worten seine Eindrücke und die Unwirklichkeit der Szenerie. Er meint, dass die Menschen auf dem Boden alle „so dreckig“ gewesen waren und er sich das zuerst nicht erklären konnte. Auch war ihm nicht klar, woran die Leute eigentlich gestorben waren, ging er doch zuerst davon aus, dass sie vielleicht bei Kletteraktionen abgestürzt seien.

Später erläutert er dann noch die genaue Todesursache, die im notfallmedizinischen Alltag wahrscheinlich sehr selten ist: Tod durch am Atmen gehindertes Ersticken. D.h. die Menschen werden so sehr durch die Menge gedrückt, dass sie nicht mehr in der Lage sind, eigenständig zu atmen und infolgedessen qualvoll an Sauerstoffmangel sterben. (genaueres hier) Man kann sich vorstellen, dass das ein sehr unangenehmer Tod sein muss. Vor allem Frauen waren betroffen, da sie mangels Kraft und Ausdauer nicht so lange in der Masse aushalten konnten und dann zu Boden gedrückt wurden.

Am Ende der Reportage wurden noch kurz die Geschehnisse nach der Tragödie aufgearbeitet und gezeigt, vor allem das peinliche Leugnen der Verantwortung von allen Beteiligten. Sehr schlecht kommt dabei der Oberbürgermeister weg, der einfach nicht zurücktreten will und sich dabei in teils zynische bis widersprüchliche Aussagen verstrickt. Er meint z.B. dass er nicht zurücktreten kann, weil das sonst wie ein Schuldeingeständnis wirkt. Das bis heute niemand wirklich die Verantwortung übernommen hat und keiner richtig „bestraft“ wurde, ist eigentlich sehr schade. Die Fehler in der Planung und das durch Profitgier und Machtstreben geleitete Handeln war so offensichtlich, dass einfach mehr hätte passieren müssen. Und, wie so oft, zeigt sich auch niemand bereit, sich zu entschuldigen oder die Hinterbliebenden anzuschreiben. Das ist eigentlich das Mindeste, was man erwarten kann. Die Katastrophe war keine Kleinigkeit und sie war eindeutig durch schlechte Planung und menschliches Versagen verursacht.

Fazit
Die Doku „An einem Tag in Duisburg“ fasst die Ereignisse sehr gut zusammen, bleibt sachlich und im Detail genau, verzichtet aber auch nicht auf moralische Aussagen und die Darstellung von Gefühlen der Beteiligten. Insgesamt war sie sehr sehenswert.

Auf ZDF.de kann man sie übrigens noch in voller Länge anschauen.

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