Erinnerungen

Mal wieder dort gewesen. An der Kreuzung, die mein Leben geteilt hat. Entschieden, beinahe … für eine lange Zeit. Das Ende kenne ich nicht. Ich sehe nur die Kreuzung und weiß: Damals gab es hier viele Entscheidungen. Ich war aufgeregt, nervös, meine Hände haben gezittert und ich habe mich überall kalt gefühlt. Der Speichel war eingetrocknet, die Alarmsignale voll da. Und sehnsüchtiges Warten. Ein perfekter Cocktail für das süchtige Leben im Jetzt.

Habe ich den richtigen Weg genommen? An dieser Kreuzung ist es einfach, da gibt es genau vier Wege. In Wahrheit waren es mehr und nur die Gefühle haben gesiegt.

Als wir weiter fahren, sehe ich die Straße, die Parkplätze, an denen ich so oft vorgebeifahren bin oder geparkt habe. Sie sehen noch so aus wie früher. Blätter liegen überall rum, die Plakate wurden ausgetauscht, sonst ist es gleich. Doch jetzt hat der Ort keine Bedeutung mehr für mich. Er ist irgendwie gestorben und dennoch ist er noch da. Ich sehe noch buchstäblich, wie wir um die Häuser kurven, nachts, wenn die anderen schliefen. Wie wir etwas erkundet haben, gesucht. Wie ich zu Fuß dort war, ausgesetzt, verlaufen. Dann wieder, um Hilfe zu bekommen. Lange, gute Hilfe. Später kamen die Freunde dazu. Als ich schon lange nicht mehr an Freundschaften geglaubt hatte.

Alles an dieser Straße.

Dann diese Abbiegung zu unserem „Nest.“. Die Straßenschäden sind noch da, der Wagen ruckelt. Ich erinnere mich an genau das Schlagloch, das wir vielleicht fünf mal pro Woche durchfahren haben.

Dann der schlimmste Weg. Die Teilstrecke, wo man ein junges Mädchen vor ein paar Jahren ermordet hat. Der Fall ging durch die Medien. Mir wird es anders. Ich erinnere mich an die Ängste, die ich damals hatte, als ich hier zu Fuß durchlaufen musste, weil ich kein Bock hatte, auf den Bus zu warten. Wie ich auch mal (an der selben Stelle) angemacht wurde und es mich geschockt hat. Die Hilflosigkeit einer Frau erlebt und mich dann als Opfer gefühlt habe. Ein schreckliches Gefühl. Ich möchte auf den Boden spucken. Ein ekliger Mann. Ich kenne ihn noch nichtmal. Lieber weiter und vergessen.

An der nächsten Stelle gab es Veränderungen. Berufliche Projekte wurden hochgezogen. Ansonsten: Industrie und Geschäfte. Leere, irgendwie. Die Straßen wirken so kalt, ich dachte, hier wäre normal mehr Verkehr? Keine freien Flächen, nur Beton. Und meine Erinnerungen an diesen Stadtteil, die unablässig nach oben strömen.

In unserer Straße ist es wie immer. Mit dem Anblick stoßen alte Gedanken hoch. Ich weiß nicht, ob das mein Leben ist oder schon ein anderes? Wo bin ich bei alldem? Ich schaue in die alte Wohnung, die Rolläden sind runter, so wie bei uns oft, weil der Rhythmus gestört wurde. Erinnerungen an die Hitze, den Smog, den Lärm, die unfreundlichen Nachbarn. Nein, es ist gut, dass wir weggezogen sind. Die schlechten Erinnerungen überwiegen an diesem Teil der Geschichte.

So langsam verstehe ich es und gewöhne mich daran. Zwei Jahre sind vergangen seit unserem Auszug. Wir kommen an die nächste Kreuzung. Früher mussten wir rechts fahren, immer rechts, in Richtung Heimat, in Richtung Grün, zu meinen Eltern oder in die Stadt.

Heute fahren wir links. Auf die Autobahn. In das schnelle Leben. In die Überschallgeschwindigkeit, um noch schneller da zu sein, wo wir jetzt zu Hause sind. Es dauert ein bisschen. Auf der Fahrt schalte ich ab. Lichter ziehen vorbei. Es wird dunkel. Hektik, wie immer- mir ist es egal. Das Leben wird leiser, immer leiser und stiller. Plötzlich sind wir inmitten von Feldern und Bäumen angekommen, so weit das Auge reicht, nur grün. Hier sind wir daheim.