Erwartungshaltung

Erwartungshaltungen sind ein zweischneidiges Schwert. Ständig erwarten wir etwas: Wir erwarten, dass sich der oder die Liebste endlich bei uns meldet und sind furchtbar enttäuscht, wenn unsere eigenen Gefühle nicht erwidert werden. Wir erwarten ein Schnäppchen und ein tolles Produkt und werden es reklamieren oder umtauschen, wenn es unseren hohen Erwartungen nicht gerecht wird. Der Millionär erwarten beim Kauf seiner Immobilie einen unverstellten Blick aufs Meer, mind. 500 Quadratmeter und eine top Ausstattung. Er erwartet, dass bestimmte Sicherheitssystem installiert, die Garage für seine 20 Autos groß genug und der Weg zum Eingang natürlich mit Marmor und Goldstatuen ausgetattet ist.

Der Hartz IV-Empfänger hingegen erwartet, dass seine paar hundert Euro pünktlich auf dem Konto landen, er erwartet, dass er nicht über alle Maßen vom Arbeitsamt gequält wird und er erwartet, dass am Monatsende noch Geld für ein Stückchen Brot vorhanden ist.

Der Säugling erwartet, dass er gefüttert wird und dass da Menschen sind, die sich um ihn kümmern werden. Das Schulkind erwartet, dass der Lehrer ein schlauer Mensch ist und ihm Mathematik und Deutsch beibringen wird. Der Abiturient erwartet, dass die Prüfungen ordentlich überwacht werden und die Anforderungen zu bewältigen sind. Der Student erwartet, dass es einen freien und erschwinglichen Studienplatz geben wird und der Arbeitssuchende erwartet, dass da Arbeit für ihn geboten wird, damit er wiederum was für die Gesellschaft tun kann.

Dass der Lehrer vielleicht heimlich Alkohol trinkt oder eine schlechte Ehe führt, das kommt dem Schulkind nicht in den Sinn. Wer hat es schon gefragt, ob es da sitzen will oder nicht?

Von der Blog-Autorin erwarten wir auch viel: Es sollen möglichst täglich Beiträge geschrieben werden und sie sollen zumindest einen Großteil unserer Gedanken entsprechen. Wir ärgern uns, wenn sie anderer Meinung ist als wir. Wir erwarten, dass sie mit uns diskutiert und uns verlinkt.

Wir wollen gehört, beachtet und geliebt werden. Mir erscheint, die grundlegende Erwartungshaltung ist etwas, das tief in unseren Genen und in unserem Wesen verankert ist.

Wie schmerzlich ist es dann, wenn wir merken, dass es Zeiten gibt, in denen nicht ständig alle Erwartungen erfüllt werden. Man möchte Geld asugeben und sich was schönes leisten, aber am Monatsende ist zu wenig da. Wohin können wir die Erwartungshaltung dann schicken?

Man erwartet eine perfekte Gesundheit, gibt aber nichts dazu. Man ernährt sich ungesund, sitzt zuviel vor Fernseher und PC, treibt keinen Sport und erwartet, dass alles zum besten läuft. Dann geht man zum Arzt und erwartet, dass der die eigene Gesundheit schon wieder hinbiegen wird.

Man erwartet, dass die kreativen Gedanken einem zufliegen, obwohl man nicht mit dem Schreiben anfängt, weil es „zu anstrengend“ ist.

Am schlimmsten aber sind die Erwartungshaltungen an andere Menschen, die im Grunde ständig und überall enttäuscht und unterlaufen werden. Vor allem, wenn man Menschen sehr gerne hat und die Grenze zwischen sich selbst und anderen nie richtig sieht- oder übersieht. Wenn man glaubt, ich, die anderen und die Welt sind eins…

Sind die Erwartungen im Bezug auf Dienstleistungen, Güter, enge Familienangehörige noch irgendwie nachvollziehbar und mit einem kleinen Anspruch versehen (vor allem im kommerziellen Bereich), so sind es doch die zwischenmenschlichen Belange überhaupt nicht. Man kann Menschen nicht besitzen, man kann sie nicht zwingen zu antworten oder zu reagieren, man Leser nicht zwingen zu kommentieren, man kann Partner oder potentielle Partner nicht zwingen, zu lieben. Man kann nicht erwarten, dass man mit Respekt behandelt wird, auch wenn man sich das noch so sehr wünscht. Menschen sind komplett unberechenbar und undurchschaubar. Und Menschen sind keine Waren und keine Computer, die man nach Bedarf ein- oder ausschaltet oder wegwirft.

Wir haben vielleicht die Erwartung, dass zweimal in der Woche Sex gut für uns wäre, aber der Partner sieht das anders. Wir erwarten, dass die Wäsche gemacht, die Einkäufe erledigt und das Bett gemacht ist, wenn wir uns abends reinlegen wollen. Wir erwarten, dass die Kinder erzogen, das Unkraut gejätet und das Auto gewaschen wird.

erwarten, erwarten, erwarten..

Und dann trifft es uns völlig unerwartet, wenn etwas eintrifft, dass wir nicht erwartet haben.

Wäre es vielleicht nicht besser, von Anfang an weniger zu erwarten und stattdessen öfters positiv überrascht zu werden?

Welche Haltung in uns lässt das nicht zu?

Wenn wir z.B. zu egoistisch und selbstbezogen sind, können wir uns nicht in andere versetzen. Wir können uns nicht vorstellen, dass sie auch Menschen sind und Bedürfnisse haben. Unsere eigene Erwartung kollidiert dann mit den Grenzen und Möglichkeiten der anderen. Ist es nicht vermessen und kindisch, das nicht erkennen zu können? Ein Ausdruck von mangelnder Reifheit und unzutreffender Überlegung?

Ein weises Kind erkennt schon mit fünf Jahren, dass die Mutter jetzt gerade überlastet ist und keine Zeit für die Gute-Nacht Geschichte hat, weil ihr selbst Tränen in den Augen stehen und sie vielleicht jemand bräuchte, der ihr etwas vorliest oder sie an sich drückt.

Der gestreßte Gschäftstmann bräuchte jemand, der ihm den Druck von den Schultern nimmt, der ihm sagt „Es ist okay, so wie du bist, es ist genug“.

Aber da ist niemand, viel zu selten. Gegen die Erwartung irgendwas zu bekommen, was wir nicht erworben, umworben oder ersteigert haben- ein Ding der Unmöglichkeit.

Liebe und Vertrauen sind keine frei erwerbbaren Güter, die irgendwo in der Luft rumschweben und dich eines Tages wie ein Blitz treffen. Du musst nur zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein…