Toleranz im allgemeinen

Über diese Debatte in den letzten Tagen über Homophobie, Hitzlsperger- Outing, über Petitionen, Gegen-Petitionen, etc. müsste ich mich eigentlich aufregen. Irgendeinen Beitrag dazu beitragen. Mir müsste das Blut ins Gesicht schießen, ich müsste mich aufregen, neue Gegner suchen, mich positionieren, andere motivieren, Feindbilder pflegen, Intoleranz bei anderen suchen, mich selbst perfekt finden, Scheingefechte kämpfen und es dann alles – politisch korrekt – in ca. vier Tagen wieder vergessen.

Das alles möchte nicht machen, einfach, weil es viel zu anstrengend ist und sich zweitens dadurch auch „nichts ändert“. Was soll sich denn überhaupt ändern? Die Frage ist doch zentral und sollte als erstes gestellt werden: Möchte man mehr Toleranz im Allgemeinen, möchte man von anderen Menschen eine bestimmte Meinung hören oder möchte man gar einen neuen Grabenkrieg aufmachen („sie haben einen Feind mehr“) ?

Ich will daher nur darüber schreiben, was ich an der Debatte augenscheinlich am komischsten finde, wo ich die meisten Widersprüche entdecke:

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Die Illusion des Virtuellen

woher kommt meine partielle Blogmüdigkeit?

Im Moment hat sich bei mir so etwas wie eine gewisse Blogmüdigkeit breit gemacht. Das ist an sich nichts ungewöhnliches oder schlimmes und wer das Blog länger liest, weiß, dass ich das regelmäßig habe. Ich will eben keine Maschine sein, die jeden Tag 20 Artikel raushaut, um dann in irgendwelchen Listen ganz oben zu stehen. Nein, der philosophische und menschliche, vielleicht auch persönliche Anteil war mir in den Texten immer wichtig gewesen. Ich denke, man kann Texte nur gut schreiben, wenn man einen großen Anteil eigener Person „untermischt“ und auch ganz explizit persönliche Anteile und Gedanken mitteilt. Würde man das nicht machen, kann man gleich zur News-Maschine werden, über SPON und die ganzen anderen Nachrichten-Portale eilen, das beste zusammenpicken und dann einen Zweizeiler dazu schreiben. Sicherlich ist das auch eine interessante Form des Bloggens, aber es liegt mir persönlich nicht. Ich möchte in eine News einsteigen, ich möchte die Tiefe ergründen, ich möchte Menschen (und vor allem mich selbst) zum umdenken bewegen.

Schwarz, weiß oder bunt?

Das ist nicht immer ganz leicht. Nehmen wir z.B. die Integration-Debatte, die es derzeit in den Medien gibt. Obwohl wir im Land mit der Geschichte größter Grausamkeit im Namen der Andersfeindlichkeit leben und wir über 60 Jahre Aufklärung, Geschichtsstunden und Museen über unsere dunkle Vergangenheit haben, eine Grüne Partei die stärker als je zuvor ist, gibt es immer noch genügend Menschen, die ausländerfeindlich sind, Stammtisch-Parolen raushauen, über Hartz IV-Empfänger schimpfen und alle recht ungeschickt mit dem farbenfrohen Malkasten der gängigen Klischees hantieren.

Und die politische Kultur erscheint mir in allen Bereichen so einseitig. Es gibt kaum noch vernünftige Mittelwege. Der Streit um Stuttgart 21 hat das ganz gut gezeigt, wie verhärtet die Fronten sind und dass es für viele Menschen nur noch schwarz/weiß gibt.

Es gibt daher keine Partei, aber vor allem auch keine politische Denkrichtung, der ich mich vorurteilsfrei und mit gutem Gewissen anschließen kann. Wenn ich darüber blogge, dann liebe ich es, beide Seiten einzunehmen.. mich in der Mitte beider Gedankenfäden eine Weile zu verirren und am Ende in einer Idee wieder zu finden, die ich vorher so nie erwartet hätte.

Warum kann man nicht gegen Atomenergie, für höhere Hartz IV-Sätze, aber auch für ein Wirtschaftsprojekt wie Stuttgart 21 sein?

Warum kann man sich nicht für einen Mindestlohn starkmachen, aber gleichzeitig die Unternehmen steuerlich entlasten? Warum kann man nicht das Renteneintrittsalter heraufsetzen und die gezahlten Renten dafür erhöhen? Warum kann man nicht gegen Ausländerfeindlichkeit sein, aber sich dennoch eine „gute Integration“ (z.B. Deutschkenntnisse) wünschen?

Der Mainstream lenkt die Aufmerksamkeit

Warum werde ich durch den Mainstream der Gedanken und Medien dazu gezwungen, mich immer auf eine einzige Linie zu schlagen? Reichen denn fünf oder sechs Parteien aus, um die ganze Vielfalt des Menschen und seiner Gedanken und Meinungen wider zu spiegeln? Ich denke nein.

Und das ist der Grund, warum ich derzeit wenig Lust auf das Bloggen, vor allem das politische Bloggen habe. Ich kann nur „erfolgreich“ sein, wenn ich bestimmte Klischees bediene und mich auf eine Linie festlege, die derzeit alle vertreten. Das engt den freien Geist aber ein. Ich möchte weiterhin vorurteilsfrei, parteienlos und klischeelos urteilen dürfen. Oder ich möchte eine Zeit lang das eine Klischee bedienen um kurzerhand zum anderen zu springen um damit die Absurdität des Ganzen zu verdeutlichen.

Aber es ist natürlich vermessen, zu erwarten, dass andere Menschen diese Meinung teilen oder man gar jemand mit dem eigenen Tun „überzeugen“ kann. Es geht nicht darum, ob man sich Mühe gibt, sondern darum, ob man Erfolg hat.

Überzeugen lässt sich per se niemand. Überzeugung, egal wie man sie äußert oder vertritt, ist auch immer Manipulation und Einflussnahme, es gibt keine „gute Überzeugung“, die ohne einen egoistischen Anteil auskommen würde.

Die Rolle der Blogs

Das bringt uns zur anderen Frage: Was können Blogs, oder vor allem: was sollen Blogs? Soll ich weiterhin über mein Privatleben schreiben und hin und wieder einen zusammengestellten Alltagsbericht „produzieren“? Soll ich mich politisch engagieren oder lieber ganz aussteigen und zur Nicht-Wählerin mutieren? Soll ich eine direkte Ansprache wählen, soll ich mich bemühen, jemand zu belehren und zu bekehren?

Ich denke inzwischen, dass man das alles nicht kann, ohne sein Gewissen zu verbiegen. Die Begründung ist ganz einfach: Die Mainstream-Medien erzeugen Aufmerksamkeitswellen, verstärkt durch soziale Netzwerke wie Twitter oder Nachrichten-Portale mit vielen Besuchern. Die tägliche News ist das Geschäft, nicht das tiefgehende Sinnieren über eine News oder gar die Diskussion mit Menschen untereinander, die darüber nachdenken und auf Augenhöhe austauschen wollen. Wir als Blogger wiederholen also nur diese News und kommentieren sie allenfalls, falls wir überhaupt diese Kapazitäten haben, um jede einzelne News auch in ihrer vollen Länge geistig-mental und mit großem Sachverstand und umfangreichem Allgemeinwissen zu „durchleuchten“. Wenn wir das wollen und könnten, würde es ganz gewiss ein Fulltime-Job werden.

Wir dringen in Normalfall niemals in die Tiefe. Die News-Welle überrollt uns alle und bindet die Aufmerksamkeit. Nehmen wir die Vorurteile und die Klischees. Wie kann man sie ändern? Ganz bestimmt nicht über eine Klischee- oder Anti-Klischee-Welle, weder über rechts-ruck Unternehmerfreund- und Anti-Hartz Parolen, noch über das gutmenschen-linksgerichtete, Korksandalen-tragende, frauenfreundliche, sozialistische Gemengelage..

All das bringt den Menschen nicht weiter und all das ändert eine Gesellschaft nicht. Indes, wir bauen einfach neue Fronten auf, wir lernen dabei unseren Mitmenschen niemals kennen. Wir ärgern uns über diese schlechte Welt, bemerken aber nur selten, dass wir es mit unseren Gedanken sind, die sie täglich neu erfinden. Wie in einer Matrix sehen wir die Welt durch einen Schirm, aber wir sehen nicht die Welt, so wie sie eigentlich ist. Wir sind blind geworden für die Realität, weil unsere Meinung sich über die Schirme und die Buchstaben bildet.

Wir erschaffen uns schlechte Menschen, wenn wir blutrünstige Krimis mit paranoiden Persönlichkeiten „konsumieren“. Wir sind es, die ausländerfeindlich sind, wenn wir hinter vorgehaltener Hand über ein Kopftuchmädchen lästern. Wir sind es, die die Leser betrügen, wenn wir uns freundlich und offen geben, aber hinterrücks vielleicht 2.000 Identitäten besitzen. Es ist nie „die Gesellschaft“ die schlecht ist, es sind auch nicht „die Politiker“, es sind weder „die Unternehmer“ noch „die Frauen“, es sind auch nicht die „Rentner“, nicht „die Machos“ und auch nicht die Spontis, Radikalen, Rassisten, Extremisten und wie sie alle heißen.

Fazit

Es sind einzig und allein wir, der einzelne Mensch, der das Zünglein an der Waage ausmacht. Und es ist eine große Last, das im vollen Ausmaß zu erkennen und zu akzeptieren. Die Aufklärung hat uns mündig gemacht, aber gleichzeitig mit hoher Verantwortung für uns selbst und die Gesellschaft beladen.

Der einzelne ist aber nur schwer zu erfassen, also verallgemeinern wir. Vereinfachen wir uns die Sicht, in dem wir das geliebte Werkzeug der Abstraktion benutzen. Wir teilen das Individuelle auf und fassen es in überschaubaren Gruppen zusammen. In immer kleineren Gruppen, bis nur noch ein Satz übrigbleibt, ein Gedanke. Vielleicht ein ausländerfeindlicher Gedanke, vielleicht ein feministischer Glaube oder eine religiöse Überzeugung. Aber stets, nur kleine Fragmente eines großen Ganzen, aufgeladen mit mentaler Energie, geschärft durch das Feuer des Wortes, und emotional-eisig wie der nahende Winter.

All das macht nicht frei. Im Gegenteil, es macht müde. Man dreht sich und dreht sich und bleibt doch auf der Stelle. Es gibt kein Entkommen, die Menschen sind eben schlecht, die Gesellschaft egoistisch und geizig. Das Gute zahlt sich nicht aus, also warum noch an das Gute glauben?

Und was soll der einzelne Blogger schon dagegen machen? Er beobachtet, er schreibt und er ändert doch nichts.

Er kann nichts ändern, weil sich nur die Menschen selbst ändern können. Es ist nicht die News-Welle, die zu Glück führt, sondern nur das eigenständige Denken und das unmittelbare Wirken im Jetzt. Es gibt nichts darüber hinaus, was nicht den Deckmantel und die Illusion des Virtuellen hätte.