Rollenmodelle

Kann man heutzutage überhaupt Meinungen über Geschlechter abgeben, ohne rot zu werden?

Die Welt ist derartig vielfältig und voller unterschiedlichster Ausprägungen, dass es bisweilen rückständig und vereinfachend wirkt, wenn man das sucht, was alle Frauen für sich oder alle Männer für sich gemein haben (könnten). Die extremsten, modernen Aussagen zur natürlichen Ungleichheit und Verschiedenheit der Geschlechter habe ich in Büchern gelesen, die sich vor allem auf biologische und jahrtausend lang gewachsene „wissenschaftliche“ Tatsachen berufen. Hier lautet aber die einfache Frage: Wenn die Rollen jahrtausendelang von Männern bestimmt wurden und den Frauen es einfach nicht ermöglicht oder gestattet wurde, z.B. mit auf die Jagd zu gehen, wie sollten sich dann entsprechende Fähigkeiten ausbilden?

Natürlich hat die Frau die Fähigkeit zum Gebären, aber im Grunde ist das der biologisch deutlichste Unterschied. Alles andere ist eine Folge der Kultur und der Rollenbilder, in der sie sich bewegte. Indem man Frauen z.B. zwang, zu Hause zu bleiben und sich um die Familie zu kümmern oder auch, indem man Männer dazu zwang, nach draußen zu gehen und sich dort in ihrer Männlichkeit zu beweisen.

Es ist eine seltsame Erkenntnis, dass es eigentlich keine „natürlichen“ Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, rechnet man nur alle Faktoren heraus, die sie verursacht haben könnten. Und es ist auch eine sehr reichhaltige Meinungsfrage, zu der es die unterschiedlichsten Positionen gibt.

Heute haben wir das Phänomen, das alles möglich ist und sich jeder auf dem Gebiet bewegen kann, wo er möchte. Wir haben zwar noch Ungleichheit und wir haben vor allem verstaubte Gewohnheit in unseren Köpfen. In unsicheren Zeiten berufen sich die Menschen gerne auf klassische Formen und Rollen, die jeder verstehen kann. Die Studierstuben der Akademiker sind selten, die Gesellschaft wird vor allem von denen geprägt, die in Überzahl sind und das „breite Volk“ ausmachen. Und ich denke, das breite Volk hat überhaupt kein Bock auf Wandlung, ist wie eh und je im alten Trott der guten alten Sitte.

Die andere Frage ist: Was will man eigentlich? Wo liegen die Ziele für die Geschlechterforschung? Was sind die Ausblicke und was die Erwartungen?

Offiziell haben wir Gleichberechtigung, aber wie klären wir die Frage der individuellen, mitunter sozialen Ungleichheit? Wie hilft man Frauen, die in der Familie unsichtbar unterdrückt und ausgebeutet werden, jeden Tag alles geben und doch nicht respektiert werden? Wie hilft man den Männern, von denen erwartet wird, Unmengen von Unterhalt an die geschiedene Frau zu zahlen und die nur männlich sind, wenn sie genug verdienen und sich entsprechend verhalten?

Vor allem: Wo positioniert man sich selbst in dem riesigen Chaos der Möglichkeiten? Nimmt man eine klassische Rolle ein und wird zum Spießer? Oder rebelliert man gegen alles und jeden und macht sich alle zum Feind?

Für mich selbst habe ich diese Frage noch lange nicht geklärt. Ich finde es schön, das machen zu können, worauf ich Lust habe, aber die Verbindlichkeiten des Lebens, die Zwänge, die Pflichten und das Leiden bleiben doch gleich. Ich muss es nur anders angehen. Mein Gewissen fragen, nach einer Ethik handeln. Alles ständig und neu abwägen, mich selbst hinterfragen, meinen Kopf benutzen, mit anderen zusammenarbeiten und jeden Tag neu beginnen.

Das alte Rollenmodell bricht für denjenigen weg, der es loslässt.

Es verliert die Fähigkeit zur Stütze. Im Gegenzug erhält man neue Möglichkeiten, größere Freiheiten und mehr Verantwortung.

8 Gedanken zu „Rollenmodelle“

  1. Ah, ich hab Dir was aus den BRAINlogs. War da erst letztens drin.

    Und Margarete Mitscherlich sagte vor zwei Jahren in der Zeit:
    Ich glaube, die Emanzipation der Frau hat heute viel mehr mit psychischen Zwängen zu tun als mit gesellschaftlichen. Diese seit Jahrhunderten verinnerlichte soziale Degradierung, die Passivität, das geht nicht so schnell weg.

  2. Das mit dem Essen fand ich interessant. Es zeigt auf jeden Fall, wie stark die biologischen Unterschiede voneinander abweichen und mir würden auch spontan ein paar Beispiele aus dem Leben einfallen, wo es wirklich so ist.
    Frau Mitscherlich gehört sicherlich zu den Besten auf ihrem Gebiet und was sie sagt, hat Hand und Fuß. Und dass der Feminismus in einer Krise ist, ist auch ein wichtiger Aspekt. Es geht wirklich um die Frage: Wie definiert man die Zukunft, was will man eigentlich? Es wäre vor allem auch Zeit, dass die Männer anfangen, sich neu zu definieren und es insgesamt zu Folgerungen kommt, wo alle etwas davon haben.

  3. Na ja, abseits der Denkschemata in irgendwelchen Massenmedien geht man derzeit in der Wissenschaft dazu über, Männer und Frauen als unterschiedlich zu betrachten. So habe ich das jedenfalls verstanden.

    In einem von den Links – ich glaube von dem Typen mit dem Blog „Geschlechtsverwirrung“ – steht, dass Beziehungen v.a. dann gelingen, wenn der Mann sich als Mann und die Frau sich als Frau empfinden kann.
    Das würde meine These stützen, dass frau in der Elektrotechnik gut mit Männern auskommt, da sie da nicht mehr extra ihre Männlichkeite unter Beweis stellen müssen, während es mit den nichttechnischen Männern in der Technik etwas ganz anderes ist.

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