Ministry of Writing

Vorgärten, Wälder, Dankbarkeit

Nun, da stehe ich inmitten dieser gepflegten Vorgärten, in diesen 90 Grad Winkel genauen Abbilder eines strengen Geistes, der sich nach Regeln sehnt. Wildes Wachstum, zementiert in Geradlinigkeit. Weiße Wände, sauber und klar. Gekehrte Auffahrten, sauber gepflasterte Terrassen ohne Fehler, klar abgesteckte Blumen und ordentlich hingestellte Blumengefäße.

Gärten, in die man sehen kann, die vor Zeigen und Gesehen werden wollen nur so strotzen -und dann doch so langweilen. Langweilig, wie Werbung. Sauber und kalt, wie eine Durchsage, wie ewig nach kopiertes und immer neu gefiltertes. Schön, ja- aber auch gleichgültig.

Im Grunde ist der Garten Quell der Natur und Wildheit und doch lieben so viele Menschen diese ordentlichen Gärten. Ich bin umgeben davon und erschrecke mich davor.

Wie ein Donnergrollen in der Idylle erscheinen die vier jungen Menschen auf den zwei Motorrädern, die so plötzlich die spießige Haardtrand-Idylle mit ihren knatternden Motoren am frühen Abend durchbrechen. Eine Frau nimmt ihren Helm ab, langes Haar kommt darunter zum Vorschein, vorher hätte ich sie eher für einen Gangster gehalten. Sie schaut mich streng an, eine Mischung aus Verlangen, Neugierde und Sehnsucht ist zu erkennen. Aber auch Abwehr und kritisches Mustern. Ich gehe schnell weiter, ich spüre Unheil und Aggression. Und auf das Gespür zu hören, ist immer ein guter Rat.

Was aber stört mich an den Gärten genau? Mich stört, dass ich keine Wildheit, keine Ungezwungenheit sehe. Dass alles so ordentlich, sauber und scheinbar übersichtlich und „perfekt“ ist. Dass die gepflegten Menschen der Mittel- und Oberschicht Ideale vertreten, die sich wiederum auf die ganze Gesellschaft auswirken und sie in einer Zange der Macht und Unterwerfung halten. Wie die Unterschicht lebt, ist eigentlich egal: diese prägen die Gesellschaft nicht, sie sind mehr eine Folge der Gesellschaft, von schlechten Aufstiegschancen, widrigen Arbeitsbedingungen, Ausbeutung, Dumping-Löhnen und allen anderen Argumenten die das linke, politische Spektrum so bieten kann. Oder soll man sagen, dass die „Unterschicht“ selbst daran schuld sei, sich selbst zu produzieren und nichts aus ihrem Schicksal zu machen? Dass sie vielleicht faul und ungeeignet sind? Welches Argument hat mehr Kraft?

Wie auch immer, kann ich nur beschreiben, was ich sehe, und das sind die Gärten der Mittel- und Oberschicht – und mir wird klar, warum es in Deutschland nicht voran geht. So ängstlich und unfrei, wie die Gärten gestaltet sind- und mögen sie noch vor Liebe, Blumen und Vielfalt glänzen, offenbaren Unfreiheit. Sie offenbaren ein Ideal aus Reichtum und Erfolg, welches aber nur eine Fassade darstellt. Sie gleichen einem Rundgang durch die meisten deutschen Blogs, die auch vordergründig und perfekt sein wollen und das dahinter liegende immer nur ankratzen, nie erreichen oder gar aufwühlen.

Der neu gemachte Gehsteig von geschätzten 200 Metern Länge z.B.: Er ist so kalt geworden. Funktional ja, aber auch kalt. Verzinktes Metall, und graue Steine. Das sieht nach nichts aus. Ordentlich, ja—-praktisch, vielleicht— teuer: gewiss— aber hübsch?

Kein Unkraut wagt sich noch durch, keine Pflanze kann dieser Bastion aus Stein und Willen etwas dagegen halten, Sturheit überwiegt. Sturheit der Steine.

Und zwischendrin, ziemlich sichtbar, quer, rebellisch und dunkel, erzeugt es einen so deutlich und unübersehbaren Kontrast, offenbart die 200 Gramm schwere Hinterlassenschaft eines Hundes den ganzen Widerspruch des gesellschaftlichen Dilemmas und der kollektiven Seele unserer Gegenwart.

Dreck passt nicht. Unaufgeräumtes ist unberechenbar. Schmutz gehört verboten, Reinheit muss her. Sauberkeit, Übersicht- und doch ist das echte Leben frei und chaotisch. Der all zu saubere Mensch verkommt, wird von seiner Seele abgeschnitten, ist einsam, perfekt und – kalt. Und vor dem Dreck des Lebens schützen kann er sich auch nicht. Dreck ist Leben.

Ich bin nur froh, dass dieser Ort so fest eingebunden ist in die heilende Kraft des Waldes, der mich immer und immer wieder neu erquicken kann. Im Wald steht alles, wofür das Leben steht, das Gute und Schöne und Heilsame. Der Wald hat die Kraft, mich nach nur einer halben Stunde Aufenthalt völlig zu reinigen und mich die Welt neu sehen zu lassen. Keine Fernsehsendung der Welt, kein Genussmittel und auch kein Essen hat diese Kraft. Der Wald ist so einfach und doch so perfekt. Der Wald ist Natur, Leben. Er riecht gut, er besteht aus einer so mannigfaltigen Anordnung der Gerüche, dass mir die Worte fehlen. Einmal der sandige Boden. Die warme Sonne auf der Borke der Bäume. Die geschnittenen Bäume am Wegesrand hüllen den Wald im Mai mit einem feinen Duft- so wie eine Frau sich abends ein Parfüm auflegt, so duftet der Wald nach Holz. Kerniges, frisches Holz aus Kiefern wie ein offenes Glas aus Honig vermengt mit frischem Cannabis. Würzig und stark, intensiv und verlockend. Unendlich.

Hummeln säumen den Wegesrand und verrichten ihre fleißige Arbeit. Sie lassen sich nicht beirren. Sie schauen nicht einmal, sie fragen nicht, sie arbeiten einfach. Die Hummeln wirken auf mich glücklich. Die Blätter auch, die feinen, wie sie sich im Wind wiegen. Ein wenig Sonne durchlassen, manchmal viel, feine Strahlen, die sanft auf die Haut prallen und tlw. versiegen, mir neue Kraft geben. Danke, Wald.

Danke, dass es dich gibt!

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