Ich habe meinen Pieks

Zuerst habe ich gedacht, ich würde nie drankommen. Dann ging es plötzlich ganz schnell.
Mein Mann wollte mich persönlich nach Bad Dürkheim zum Impfzentrum fahren. „Falls Du Nebenwirkungen hast und dann nicht mehr fahren kannst“. Und der Hund durfte mit.
Es war ein regnerischer, kalter Tag Ende Mai. Das Außenthermometer zeigte 11 Grad und ich überlegte noch, ob ich mir eine lange Strumpfhose anziehen soll, weil meine Mutter gemeint hätte, im Wartebereich wäre es kalt und man müsste tlw. lange warten.

Schon am Eingang wird mir klar, dass es irgendwie „ernst“ ist. Überall stehen hohe, weiße Absperrungen und Bauzäune, an denen wiederum Verbotsschilder und Hinweisschilder aufgehängt sind. Man wird als große Masse durch eine klar erkennbare „Impfstraße“ gelotst. Am Anfang steht ein Mensch mit sichtbar erkennbaren Migrationshintergrund und kontrolliert den Ausweis und die Terminbestätigung. Nur eine „leichte Kontrolle“, nach einer Minute in der Schlange geht es gleich weiter. Es ist 20:15 Uhr und ich bin- wie im Schreiben empfohlen- 15 Minuten früher gekommen.
Im ersten Wartebereich sitzt niemand, also kann es gleich weitergehen. Ich komme in die Innenräume der „Salierhalle“, ein freundlicher Mensch mit erkennbaren Migrationshintergrund hält mir die Tür auf und bittet mich freundlich herein.

Am Schalter sitzt ein etwas unwirsch erscheinender Mensch mittleren Alters, der meine restlichen Unterlagen durchsieht. Ich weise ihn darauf hin, dass auf meinem Impfpass noch eine falsche Adresse (nämlich die von meiner letzten Wohnung in Mannheim) steht und ob das man das ändern könnte. Er sagt nur kurz „das ist ihr Problem, spielt ansonsten keine Rolle“ und reicht mir die Unterlagen zurück.

Ich komme kaum dazu, über seine Aussage nachzudenken und werde weiter zu einer Dame mit Fieberthermometer geschleust „34,4 Grad“ sagt sie, als sie mich kurz mit Infrarot an der Stirn abgetastet hat. Sie lächelt. Das Ausbildungsniveau der Mitarbeiter steigt und damit auch meine Nervosität. Ich habe einen Zettel und ein Klemmbrett ausgehändigt bekommen und soll noch an zwei Stellen unterschreiben „hier“ und „hier“ hatte der Mann gesagt. Wo nochmal genau? Ich blättere mich gerade durch die Unterlagen, da werden wir von einer freundlichen Stimme hingewiesen, dass es jetzt schon zur nächsten Station geht. Verdammt.

An der nächsten Station steht wieder ein Mensch mit erkennbaren Migrationshintergrund und möchte mir das Klemmbrett mit den beiden Unterschriften abnehmen. „Ich bin noch nicht soweit!“ protestiere ich und merke, wie mir die Röte ins Gesicht schießt. Dabei bin ich doch extra 15 Minuten früher gekommen, aber irgendwie in den falschen Zug eingesteigen. „Kein Problem, machen sie es einfach fertig, ich hole die Unterlagen dann ab“ sagt er freundlich.

Schnell blättere ich mich durch die Papiere und möchte sie noch ein bisschen lesen, aber es ist genau das gleiche, was man zu Hause auch schon auf dem Computer ausdrucken konnte. Ich kritzele meine Unterschrift dahin, wo das unübersehbare X ist und stelle fest, dass der Kugelschreiber bald den Geist aufgibt. So wie meine Nerven.

Es folgt eine „Belehrung“ über die Impfung von einem Menschen ohne Migrationshintergrund mit erkennbaren höherem Ausbildungsstand (vielleicht ein Arzt). Neben mir sitzen ein paar dicke Menschen und unterhalten sich.

Im Hintergrund sitzt eine Frau und geht die gestapelten Klemmbretter mit den Impfpässen durch. Sie hat eine riesige Menge an Aufklebern dabei, checkt die Unterlagen und stempelt für jeden die Impfbestätigung „Comirnaty“ hinein.

„Sie werden heute mit einem sogenannten mRNA Impfstoff geimpft“ erklärt der höher-gebildete Mensch, der leider ein bisschen zu leise spricht oder ich bin zu weit weg. Was er so sagt, klingt ganz interessant, aber ich höre irgendwie nur die Hälfte. Dann nimmt er sich den Stapel mit den abgestempelten Klemmbrettern und Impfpässen und wird von der Dame darauf hingewiesen, dass noch ein paar Unterschriften fehlen. Er liest die Namen durch, geht zu den Menschen neben mir und weist nochmal darauf hin, dass man bitte da, wo das „X“ ist, unterschreiben sollen.

Dann bin ich schon dran. Er checkt meine Unterlagen „Alles richtig gemacht“, ich darf zur nächsten Station.

Hier beginnt klar erkennbar der medizinische Bereich. Große, aus Holz gebaute Impfkabinen, Vorhänge, Desinfektionsmittel. Man solle bitte die Garderobe an den Haken hängen und den Oberarm freimachen.
Es geht Zack auf Zack.

Ein Mensch mit blauen Klamotten, Arztschuhen und professionellem Auftreten kommt in die Kabine und legt eine kleine Schale mit Spritze auf den kleinen Tisch. Das wird also meine „Du kommst aus dem Gefängnis frei“-Spritze. Sieht unspektakulär aus. Ich schaue sie dennoch neugierig an und merke, wie in mir die Vorfreude auf Reisen, Restaurants, Freunde aufsteigt. Alles in dem kleinen Ding da, mit den Messenger-Botenstoffen und dem magischen Schlüssel gegen das Spike-Protein.

Ich sitze auf einem wackeligen Drehstuhl aus Plastik und drehe gelangweilt meinen Oberkörper hin und her. Gegenüber sind zwei Mädchen (eine Patientin und ihre Freundin) die kichern, sichtbar aufgeregt sind und ab und zu rüberschauen, was die ältere Dame da so macht..

Dann kommt nochmal Mr. Blaukleidung in meine Kabine, das Herz pocht, er zieht den Vorhang zu und sagt „bitte den Oberarm etwas lockerer“ lassen, weil ich natürlich angespannt bin. „Es kann gleich ein bisschen pieksen“, sagt er noch, dann tut es HÖLLISCH weh, weil er genau den Nerv getroffen hat, ich lächele ihn dennoch dankbar an und er meint „bitte in den Warteraum 15 Minuten warten, dann zum Checkout“.

Ich komme also zum Ende der Wartestraße. Noch mehr Schilder, bitte nicht fotografieren, kein Handy, dankbare Ruhe, beinahe wie in einer Kirche, nur dass man nicht zu dicht gedrängt, sondern mit mehr Abstand zusammen sitzt. Ich überlege, ob mir schummrig wird oder es nur die Aufregung ist?

15 Minuten Ruhe, Nachdenken, ein herrlicher Moment. Hin und wieder steht jemand auf und geht zu einem der Checkout-Schalter. Ich staune, wieviel Personal man für die Impfungen aktivieren konnte. Hier sitzen vielleicht 20 Patienten, aber es gibt drei Schalter mit gut ausgebildeten Menschen und einem Leiter, der hin und geht und ab und zu einen Kommentar macht. Warten. Der eine Mann hinter dem Schalter holt ein Wurstbrot aus einer Box und kaut darauf. Ich muss schmunzeln, hab auch schon wieder Hunger. Blick auf die Uhr: Noch 3 Minuten. Vor mir steht jemand auf und geht zum Schalter. „Danach ich“ denke ich mir und überlege, wie historisch dieser Moment ist. Und dass es sowas eigentlich noch nie gegeben hat.

Dann stehe ich auf und checke aus.

Draußen scheint immer noch ein bisschen die Sonne und mich empfängt eine herrlich klare frische Luft.

Am nächsten Tage habe ich nur etwas leichte Kopfschmerzen und fühle mich ansonsten einwandfrei. Ich bin sehr erleichtert und dankbar, dass das alles so gut organisiert wurde! Und sich soviele Menschen dafür einsetzen, dass wir wieder aus der Pandemie herauskommen werden.

Ein Gedanke zu „Ich habe meinen Pieks“

  1. Also, das ist mal wieder gut geschrieben, sehr klar und erfrischend zu lesen.So war es also! Und die Dankbarkeit zum Schluß, sehr wichtig!

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