Konformität und Verschiedenheit

Eben lief die Wiederholung einer Sendung im Fernsehen, die so traurig und bewegend war, dass ich sie noch mal anschauen musste und nicht weitergeschaltet habe. Es ging dabei um einen an Amnesie erkrankten Patienten, der durch seine Krankheit seine Arbeit, Familie und Kinder verloren hat und der zudem auch keine Freunde und Gleichgesinnte mehr findet. Wenn er keine Eltern hätte, die sich rührend um ihn kümmern, hätte er niemanden mehr und wäre völlig alleine.
Den Fall finde ich deswegen so besonders und auf der anderen Seite unverständlich, weil der Mensch sehr, sehr nett rüberkommt, ein freundliches Lächeln hat, sehr aufgeschlossen, intelligent und humorvoll wirkt. Das einzige Problem, was er hat: er kann sich halt nichts merken!

Durch einen Unfall lag er im Koma, dabei wurde sein Gehirn mit Sauerstoff unterversorgt, das Ergebnis ist eine partielle Amnesie. Die Reportage zeigte nun, wie sich dieser Mensch mehr schlecht als recht durch den Alltag bewegt, wie er professionelle Hilfe von einem Arzt bekommt (Gedächtnistrainer) und wie er persönlich damit umgeht, und was er darüber denkt.
Wie gesagt, er ist eigentlich “normal”, er hat nur eine kleine Besonderheit, die macht ihn sogar recht liebenswert- es mag eine große Belastung für ihn sein, aber er geht auf eine interessante Art und Weise damit um. Er lächelt über sich selbst, kann sich aber auch nicht verstehen, er hat einfach ein gutes Stück weit die Orientierung verloren, so wie ein Kind, dass immer nur gerade spielt, aber an keine Verpflichtungen denkt, keine Termine, kein Gestern und kein Morgen fürchtet.

Aber doch- war seine Krankheit für andere soweit abstoßend, dass man ihn deswegen verlassen hat. Dieser Punkt ist das eigentliche Krankhafte an der ganzen Geschichte und wie immer- kann der Patient eigentlich das Wenigste dafür.

Warum verlassen Menschen also andere Menschen, wenn diese den Anschein erwecken, psychisch nicht ganz gesund zu sein? Im Zusammenhang mit Schizophrenie und ähnlichen Erkrankungen habe ich schon vergleichbares gehört, bzw. gelesen.

Ist es die allgemeine Unfähigkeit in unserer Gesellschaft, Krankheit zu akzeptieren? Machen wir das Normale, das klinisch reine, ja sterile soweit zu unserem Maßstab, dass wir vergessen, wie verrückt und chaotisch das Leben sein kann und dass es am wenigsten einen normalen, sauber abgesteckten Pfad laufen mag?

Wer ist also der zu nennen, der jemand verlässt und im Stich lässt, nur weil der andere etwas anders ist und eine Sache hat, die ich nicht kenne?

Ist die Angst das entscheidende Kriterium?
Das mangelnde psychologische Feingefühl?
Die Kurzlebigkeit der Welt?
Der ständige Druck, erfolgreich sein zu müssen?
Die Angst, von der Gruppe ausgeschlossen zu werden, wenn ich einen Freund habe, der “anders” ist?

Wie auch immer, und wenn es eine Mischung aus allem ist, mir scheint diese Probleme scheint es häufig zu geben- ja, es muss sie sogar sehr häufig geben, weil die Natur die letzte ist, die Einheitlichkeit und Konformität möchte. Das wollen nur wir Menschen, weil wir meinen, dass es so schöner wäre, wenn die Rasenkanten ganz gerade geschnitten sind, das Grundstück nach einem rechten Winkel vermessen wurde, die Wände genau gerade stehen und die Menschen darin, genau den gleich, hehren, arithmetischen Idealen folgen.

Ich bin nur froh, dass die Realität so nicht ist. Dass sich nur der Mensch nennen kann, der das Leben so akzeptiert, wie es kommt. Der das krumme, unfertige lieben kann. Der das Leben schmutzig, dreckig, verworren und lustig in sein Herz lassen kann. Den finde ich bewundernswert.

Der nicht traurig wird, wenn ein bestimmter Plan nicht in Erfüllung geht. Derjenige, der sich der Besonderheit, der Krankheit und dem Schicksal mit solch einem Mut stellen will und kann, der darf wahrlich mutig und edel genannt werden.

Die anderen sind einfach nur der Grund, warum ich Fragen stelle.