Weihnachtsmarkt

Zum Weihnachtsmarkt-Anschlag in Berlin kann und werde ich erstmal nicht zuviel schreiben. Das Ereignis ist noch zu jung und die Gefahr ist groß, dass man sich in falschen Schuldzuweisungen und vorschnellen Vermutungen verliert. Zuerst möchte ich daher mein Beileid und mein Mitgefühl all denjenigen aussprechen, die davon betroffen sind oder Angehörige unter den Opfern haben. Mich hat das Ganze sehr betroffen gemacht.

 

Dennoch gibt es mittlerweise genug Fakten und genug Informationen, so dass zumindest eine erste Zusammenfassung und Einschätzung möglich ist.

Ich habe davon so erfahren: Wir haben gerade einen Film im TV angeschaut und es kam Werbung. Beim Zappen durch die Kanäle sind wir dann an „n-TV“ hängen geblieben. Da war ein LKW auf einer deutschen Straße und darunter ein Lauftext, was vermutlich passiert ist. Nach ca. 2 Sekunden hab ich sofort an einen Anschlag gedacht. Zu der Zeit war es aber nicht sicher. Ich war sehr erschrocken und erbost und schaltete zunächst weiter, weil ich nicht wollte, dass das Grauen an diesem friedlichen Abend (der ansonsten so schön gelaufen war) in unser Wohnzimmer bricht. Später dann, als Nachrichtenzeit war, konnte ich mich aber nicht mehr zurückhalten. Eine sichtlich aufgewühlte Marietta Slomka vom Heute Journal versuchte ein bisschen Ordnung und Übersicht in die Situation zu bringen, was ihr sichtlich schwer fiel. Mir war sofort klar, dass da etwas sehr schlimmes passiert sein muss. Und in wirklich fast jedem dritten Satz wiederholte man sich „wir wissen aber noch nicht, ob es ein Anschlag war, es könnte auch ein Unfall sein“.

Das fand ich mehr als seltsam. Denn schon in den ersten Stunden nach dem Anschlag deutete für den gesunden Menschenverstand alles daraufhin. Ich ging abends beim Einschlafen nochmal die Fakten durch und kam zu folgendem Ergebnis: Die Anschlagszeit war mit 20 Uhr sehr exakt ausgewählt und vermutlich so berechnet, dass möglichst viele Leute auf dem Weihnachtsmarkt sind. Es wurde ein prominenter Platz mit besonderer Bedeutung für Deutschland, nämlich der Breitscheidplatz und die Gedächtniskirche ausgewählt… es wurde ein christliches Symbol und gleichzeitig ein Symbol der westlichen Welt und ihrer kapitalistischen Denkweise gewählt: Ein „Weihnachts“- „Markt“, also die Verbindung aus christlicher Weltanschauung und dem irdischen Bestreben, die Dinge zu handeln und zu verkaufen. Man hat einen Verdächtigen verfolgt, der sich hinterher als „unschuldig“ herausgestellt hat. Aber dieser Verdächtige passte bereits zu einer Personengruppe, die man bei so einem Anschlag vermutet hätte: Jünger als 30 Jahre, männlich, aus einem arabischen oder muslimischen Kulturkreis. Das heißt also auch, dass der ursprünglich gesichtete Täter diesem fälschlicherweise verfolgten Mann sehr ähnlich gewesen sein muss. Dann wurde noch am Abend im Internet berichtet, dass Zeugen einen Schuss gehört haben, als der LKW zum Stehen kam. Außerdem wurde der Beifahrer tot aufgefunden. Von einer Schussverletzung wurde allerdings nicht gesprochen, das kam erst einen Tag später.
Eine Zeugin auf CNN berichtete, dass der LKW auf seiner Fahrt nicht langsamer geworden war. Wenn es ein Unfall oder ein Versehen gewesen wäre, dann hätte er gebremst. In den deutschen Medien wurde dieser Fakt, bzw. diese Zeugin nicht erwähnt. Aber auch CNN hielt sich am Anschlagsabend mit Deutungen und dem Wort „Anschlag“ noch zurück.
Als zusätzliches Indiz für einen islamistischen motivierten Terroranschlag kam noch hinzu: Der Anschlag in Berlin erinnerte sofort an den von Nizza. Die Terrororganisation IS hat dafür anscheinend „Anleitungen“ ins Netz gestellt. Es ist eine perfide Anschlagsmethode, die leicht durchzuführen ist und gegen die es kaum Schutz gibt. Außerdem ist maximaler Schaden gegen „weiche Ziele“ (also Menschen!!) möglich.

Ich frage mich trotzdem, wenn soviele Indizien schon am Montag abend für einen Anschlag gesprochen haben, warum war man dann nicht in der Lage, das auch auszusprechen? Die Medien wirkten hier wie die Maus vor der Schlange, die vor Angst erstarrt und sich nicht vor- noch zurückbewegen kann. Genau dieses Zögern ist es, das uns empfindlich und angreifbar macht.
Was machen wir demnächst, wenn Terroristen mit der AK-47 vor uns stehen? Glauben wir, dass sie nur in einem Spiezeugladen waren und nochmal eben die Weihnachtsgeschenke für ihre Söhne und Neffen ausprobieren wollen? Und wenn wir von ihren Kugeln durchsiebt werden, werden wir es dann für einen Scherz halten und glauben, dass es Filmblut ist, dass man gleich wieder abwischen kann? Und wenn wir dann im Sterben liegen, weil die Terroristen sich an uns „Ungläubigen“ gerächt haben, werden wir dann glauben, dass wir gleich wieder auferstehen und morgen wieder zur Arbeit gehen, als sei nichts geschehen? Wie naiv wollen wir noch sein? Wieviel Schmerz und Leid müssen wir ertragen, bevor wir endlich aufwachen?

Sicherlich war es richtig, dass sich Medien, Polizei und andere Verantwortliche in so einer Situation zurückgehalten haben und besonnen reagiert haben. „Besonnenheit“ war das Wort des Abends und es ist sicherlich auch löblich. Es ist eine sehr deutsche Herangehensweise, erstmal alles abzuwarten, sich erstmal ein Überblick über die Fakten zu schaffen und die Emotionalität und das Bauchgefühl ganz an den Schluss zu stellen.
In diesem Falle geht es auch darum, keine Panik zu schüren, sich nicht anstecken zu lassen von der Hysterie.

Wie nicht anders zu erwarten, waren es vor allem die rechten, politischen Parteien, denen vorschnell Deutungen herausrutschten. Einem Horst Seehofer z.B., dass man die „Flüchtlingspolitik nun überdenken“ müsste- freilich ist bis jetzt noch gar nicht bekannt, ob der eigentliche Täter wirklich ein Flüchtling war oder ist! Jemand anders sagte, dass das ein „Kriegszustand“ sei und noch jemand sagte sogar dass es „Merkels Tote“ seien.

Wo aber ist die richtige Reaktion? Wie soll man nun reagieren? Wie soll man sich menschlich darauf einstellen?

Ich denke, dass beide Extreme nicht gut sind. Es ist nicht gut, sich selbst in Watte zu packen und die Augen und Ohren zu verschließen und nicht akzeptieren zu können, was wirklich ist. Eine allzu hektische, rein emotionale und „postfaktische“ Reaktion ist aber auch nicht gut.

Man muss sagen können: Ja, Deutschland ist im Visier des internationalen Terrorismus. Ja, wir werden nicht von allen geliebt, auch wenn wir uns noch so anstrengen. Ja, es gibt Leute die uns hassen und nein, wir können uns nicht immer davor schützen.

Was man mehr als je braucht, sind vernünftige Antworten, die auf der einen Seite die Freiheit, Sicherheit und Menschenrechte von allen Menschen gewähren, aber gleichzeitig auch wehrhaft bleibt und konsequent dort reagiert, wo Unrecht geschieht.

Für mich liegt der größte Skandal z.B. darin, dass ein Mensch (nämlich der neue Verdächtige Amri) so einen langen, offensichtlichen kriminellen Weg beschreiten kann und dass es niemand gibt, der ihn aufhalten kann. Er wurde wahrscheinlich in Tunesien schon verdächtig, kam dann als Flüchtling nach Italien, war an Aufständen beteiligt und zündete dort eine Schule an. Er saß dort in Haft, war also vorbestraft. Italien konnte ihn nicht ausweisen, also kam er nach Deutschland. Wieso kam er bei uns rein? Als offensichtlicher Straftäter? Auch hier bei uns wurde er auffällig, aber auch da konnte man ihn nicht unter Kontrolle bekommen! Es war weder möglich, ihn längere Zeit in Abschiebehaft unterzubringen, noch möglich zu überwachen und abschieben ging auch nicht. Die Begründungen dafür sind haarsträubend und werden den vielen Toten und Opfern seines Wirkens nicht gerecht! Man konnte ihn nicht loswerden, weil er keine Ausweispapiere hatte und weil Tunesien ihn nicht zurücknehmen wollte! Sagt das jetzt bitte nicht den Angehörigen… ich möchte so eine Botschaft auf jeden Fall nicht überbringen wollen. Das ist traurig und eine große Schande für die Sicherheitsarchitektur, wenn soviele Fehler zusammen kommen.

Deutschland und seine Nachbarländer in der EU müssen solche Sicherheitsmängel dringend und schnell abstellen. Es bringt nichts, im Allgemeinen gegen „die Flüchtlinge“ zu hetzen. Aber es würde schon reichen, wenn man die Einreise konsequenter und gezielt kontrollieren würde und bei einem offensichtlichen Straftäter konsequenter abschieben würde. Auf gar keinen Fall darf ein „freier Radikale“ so ungehindert durch Europa reisen. Es muss jemand geben, der ihn stoppt und zwar rechtzeitig und nachhaltig.

Terror oder Amok

Ich wollte ja eigentlich was über diesen durchgeknallten Axt-Attentäter von Würzburg schreiben… aber dann kam München und der Typ mit der umgebauten Theater-Waffe dazwischen. Und gerade, als sich dieser Medienhype ein wenig gelegt hat und ich durchatmen wollte, las ich heute morgen „alles was wir über den Bombenanschlag von Ansbach wissen“.

Puh, das ist ein harte Woche, auch für erfahrene und Angst-befreite Blog-Autorinnen.

Was mir bei der Medien-Berichterstattung sehr stark auffällt: Alle beeilen sich, den Terror dieser Tage vom Amok abzutrennen.
In der Nachrichtensendung wird dieser Satz am Ende der Sendung sogar nochmal nachgereicht. Der Machetenmörder war nur krank, der Mord vermutlich eine Beziehungstat. Puh, und kein Terror in München, was für ein Glück! Nur ein 18-jähriger Spinner, der mit einer Waffe aus dem Darknet wahllos Ausländer und Jugendliche abknallt. Über den anscheinend alles bekannt gewesen ist: Er hat sich ein Buch über Amokläufe gekauft, er hat im Internet Counterstrike gespielt und dabei Nicknamen wie „Hass“ oder „Terror“ verwendet, er hat in Chats über Ausländer geschimpft, und er hat sogar als (vermutlich 17-jähriger) die weite Reise auf sich genommen und den Amoklauf-Tatort in Winnenden besucht und dort sogar Fotos gemacht. Dann hat er noch in aller Ruhe ein Manifest über seinen Amoklauf geschrieben und sich als Tatzeitpunkt den Jahrestag des Breivik-Attentats von Utøya ausgesucht (22. Juli). Nebenbei war er anscheinend so intelligent, dass er sich im Internet eine Waffe bestellen konnte und anscheinend auch so reich, denn so eine Waffe ist ja bestimmt nicht billig, dazu kamen noch 300 Schuss Munition. Mit dieser Waffe muss er auch mal geübt haben und wurde wahrscheinlich von niemanden wahrgenommen.

Und alle Freunde, Verwandten, Eltern und Familienmitglieder haben davon nichts mitbekommen und den Jungen weiter gewähren lassen?
Er war wegen eines „depressiven Formenkreises“ in Behandlung, aber kein Psychiater der Welt hat die Anzeichen erkannt oder den Jungen mit der instabilen Psyche irgendwie auffangen oder aufhalten können. Was nützt uns all die Polizei, die GSG9, die Feldjäger und die 2300 Beamten im Einsatz, wenn all diese zivilen Sicherheitsmechanismen versagen? Man wird den Terror niemals aufhalten können, wenn diese Attentäter nicht aus dem zivilen, bürgerlichen und familiären Umfeld erkannt und aufgehalten werden.

Und somit ist der Terror auch ein Versagen der Gesellschaft. Unrecht kann dort passieren, wo die Gesellschaft Unrecht zulässt und keine geeigneten Gegenmittel findet. Der Junge wurde laut Medienberichten gemobbt und ausgegrenzt. Wahrscheinlich war er auch von den Identitäten zerissen. Darauf deutet hin, dass er als „Deutsch-Iraner“ bezeichnet wird, wahrscheinlich in Deutschland geboren wurde, aber iranische Eltern hat. In diesem wackligen Handy-Video vom Balkon in Richtung Parkhaus hat er ja auch lautstark protestiert und betont „Ich bin Deutscher… aus einer Hartz IV-Gegend“.
Woraufhin der Baggerfahrer in Unterhemd Bierflaschen auf ihn geworfen haben soll und ihn als „Spinner“ bezeichnet hat, der in die Psychiatrie muss .. Dieses kleine Video ist ein schreckliches Zeugnisvideo von all dem Elend. Es ist komprimiert auf die wichtigsten Punkte. Da unten steht ein verzweifelter Jugendlicher, der seinen Platz in der Gesellschaft noch nicht gefunden hat. Während er mit der Pistole in der Hand hin- und herläuft, wird er von der Gesellschaft (= dem Mann auf dem Balkon) verspottet, beschimpft und angegriffen. Obwohl es so komplett offensichtlich ist, dass er seelisch aus dem Ruder läuft, findet sich niemand, der dieses Chaos aufhalten kann. Ein paar beruhigende Worte hätten vielleicht gereicht. Stellt neben den 2300 Polizisten und den Sondereinheiten gegen Terror bitte auch noch ein paar Polizeipsychologen in den Dienst. Und die sollen dann auch mit Blaulicht an den Tatort fahren.

Und die sprachliche Unterscheidung zwischen Terror und Amok? Streng genommen gibt es keinen Unterschied. Beide Straftaten dienen dem Zweck, die Bevölkerung zu verunsichern, Angst und Schrecken zu verbreiten und wahllos Opfer zu töten, die man irgendwie für „Feinde“ hält.

Beim Terroranschlag mag es noch ein paar politische oder pseudo-religiöse Motive geben- aber in der Verblendung und dem blinden Hass gegen alles Fremde und Abgelehnte gibt es kaum Unterschiede zum Amoklauf. Der Amokläufer will die Gesellschaft bestrafen, von der er sich gehasst und ausgeschlossen fühlt. Der Amoklauf ist der drastische Kontrapunkt zur Gleichgültigkeit und Ignoranz, die ansonsten vorherrschen. Man wird jahrelang ignoriert, gemobbt, ausgeschlossen. Menschen beachten sich auf der Straße kaum. Nur der Stärkste, coolste, hübscheste gewinnt den Kampf um die Aufmerksamkeit. Wer bei diesem Wettbewerb nicht mitmachen kann, landet schnell im Kanaldeckel der Ungeliebten. Bemerkenswert ist z.B. auch dass der Attentäter von München sich als junge Frau ausgibt, um die Leute in den MacDonalds zu locken. Hätte ihm seine männliche Identität nicht ausgereicht? Hat er schon geahnt, dass dann niemand kommen würde?

Aus diesem Untergrund der Verlierer-Randgesellschaft gibt es nur ein Entkommen: Den blinden Hass, den man die Leute zurück vor die Füße wirft. Plötzlich wird die Gesellschaft gewzungen, sich um einen zu kümmen. Nun müssen alle hinschauen! Nun müssen sie sich alle mit dem 18-jährigen beschäftigen. Nun wird er endlich geliebt. Doch es ist zu spät. Er richtet die Pistole gegen den Kopf und verschwindet aus dieser Welt. Was alles schief gelaufen ist, erfahren wir erst hinterher.

Der Terrorist ist in seiner Verzweiflung nicht viel anders. Auch er dichtet sich wahnhafte Motive zusammen, sieht überall Feinde und „Ungläubige“ die er bekämpfen muss. Menschen, die sich amüsieren, friedlich ein Feuerwerk anschauen oder dem Wochenend-Einkauf nachgehen, werden wahllos zu Feinden deklariert. Die Auswahl scheint hier völlig irrational und zufällig. So waren z.B. beim Nizza-Attentat auch viele Muslime unter den Opfern. Der LKW unterscheidet nicht nach Religion. Die Stoßstange wälzt jeden Menschenkörper unter die Räder. Die harten Felgen trennen alle Arme und Beine ab, ob der oder die jetzt regelmäßig in der Moschee war oder nicht. Die Leben werden allesamt beendet. Mit einem Miet-LKW gefahren aus den Händen eines Irren. Es sind nicht die LKW, die Macheten oder Äxte, die man verbieten muss. Es sind die fehlgelenkten Gedanken des Hasses, die den eigentlichen Feind ausmachen.

Die beste Antwort auf Hass in der Gesellschaft kann nur „Liebe“ sein. Auch wenn es abgedroschen und plakativ klingt, denke ich, dass die Formel recht einfach ist. Eine verrohte Gesellschaft, die sich um den anderen nicht kümmert und Schwächere ausgrenzt und mobbt, wird Hass und Gewalt ernten. Amokläufer und Terroristen sind immer Augeschlossene und „Nicht-Integrierte“. Daher muss das Wort „Integration“ ganz nach oben auf die politische Agenda.

Neu ist allerdings, dass wir mit den vielen neu-dazugezogenen und Geflohenen auch die Probleme anderer Länder und anderer Regionen zu unseren eigenen dazu bekommen. Wer anderen helfen möchte, muss damit rechnen, dass nicht nur problemlose, friedliche Menschen aus einer heilen Welt kommen. Wenn diese Menschen nicht massiver Gewalt, Armut, Ungerechtigkeit, Terror und Leid ausgesetzt wären, würden sie ja nicht fliehen. Wer also die Arme aufmacht und die Welt willkommen heißt, MUSS damit rechnen, dass auch die Probleme mitkommen. Es ist gefährlich und naiv, wenn man diese Realität nicht sieht. Diese Realität des Fremden kann auch sehr leicht von ausländerfeindlichen und extremistischen Parteien missbraucht werden, um negative Stimmungen zu erzeugen und Wähler zu gewinnen. Allein schon deshalb muss sich die Politik und die Gesellschaft all dieser Probleme endlich annehmen. „Wir schaffen das“ alleine reicht nicht.