Friede, Freude, Eierkuchen

(aus der Reihe: 21 years later)

Das neue Jahr hatte endlich begonnen. Inmitten der Arbeit, inmitten von Schweiß, Blut und Tränen hatte sie es geschafft, sich durch alles hindurch zu kämpfen und sich endlich an die Oberfläche des Wassers hervorzukämpfen, die so lange herbei gesehnt hatte.

Am Vorabend hatte sie noch eine Reportage über die „Love Parade“ gesehen, eine große Friedensbewegung Anfang der Neunziger, gegründet von „Dr Motte“, den viele Jugendliche von heute gar nicht mehr kennen. Doch damals war er ein Star! Ein kleiner, nerdiger Star mit einer Brille, der eine hübsche Partnerin hatte und zusammen mit ihr an das Gute glaubte. „Acid“ war die Musik der 90er und sie waren die Pioniere. Sie gründeten eine kleine spontate Demonstration, tauchten sie „Friede, Freude, Eierkuchen“ und starteten mit 20 Gästen. Der Anfang war verhalten und es regnete, doch im nächsten Jahr kamen bereits 1500 Raver und im Höhepunkt der Bewegung, die man durchaus ein zweites Woodstock nennen könnte, kamen im Jahr 1999 über 1.5 Millionen Menschen nach Berlin! Sie erinnerte sich deutlich an diese Zeit und die Strahlkraft der Parade, die sie damals auf sie, als jungen Menschen, ausgelöst hatte. Natürlich hatte sie auch noch CDs mit „One World, one Future“ und den strahlenden, bunten Herzen in ihrem Regal. Und die Werte der Bewegung prägten sie ganz besonders nachhaltig. Lange hatte sie die CDs im Handschuhfach ihres Autos spazieren gefahren und die MP3-Titel von Maruhsha, Westbam oder Dr. Motte hörte sie noch heute.

Die letzten Aktionen und Ereignissen kippten alle ins Positive und somit konnten sie endlich Erfolgserlebnisse vorweisen.

Sie nahm ein Stück vom Tiramisu, das vor ihr auf dem Teller zu kippen drohte, weil es der Bäcker sehr gut gemeint hatte.
Es schmeckte herrlich! So weich, so zart, so natürlich und aromatisch. Sie traute sich fast gar nicht, das Schokoladen- Herz auf ihrem Cappucino-Schaum zu durchstoßen, tat es aber schließlich dennoch mit ein paar gestreuten Zuckerkristallen.

Und plötzlich- inmitten von der Mannheimer Fußgängerzone- merkte sie etwas, dass sie schon seit drei Jahren (oder länger) nicht mehr gespürt hatte: Ein tiefes Glücksgefühl zog sich von ganz unten, von den Füßen beginnend, über den Darm, und Bauch bis hin zur Herzgegend und dem Kopf. Es kribbelte überall und sie musste anfangen zu lächeln. Die Welt um sie herum wurde plötzlich bunt und schön. Sie begann plötzlich die Menschen zu sehen, zu verstehen und die ganze hässliche, wertende Brille, die sie ständig getragen hatte, war verschwunden. Plötzlich erkannte sie die Seele der Menschen. Ihre Gefühle. Dass jeder glücklich sein wollte. Und es nicht immer schaffte.

Sie begriff, dass sie ein Teil von ihnen war. Wie in in einem riesigen Organismus mit vielen Zellen und Organen. Man konnte nicht das eine trennen und dann „neidisch“ auf das andere sein. Jede Interaktion von ihr lief über einen anderen Teil dieses großen Organismus. Es war unmöglich, hier einen Teil „unglücklich“ zu machen und zu hoffen, dass der andere „glücklich“ werden würde. Es klappte nur, wenn alle glücklich waren. Es klappte nur, wenn die Gesellschaft auf den richtigen Weg gebracht wurde und sich alle auf die grundlegenden Werte der Menschenrechte, der Toleranz und der Liebe verständigten.