Just in time

= auf den letzten Drücker

Der moderne Mensch ist auf Aktivität ausgelegt. Wer nicht handelt, kann nicht erfolgreich sein, wer nicht lauthals den Mund aufmacht und schreit, wird nicht gehört und wer sich zufrieden und bescheiden im Hintergrund hält, wird überhört oder ganz vergessen. Das Leben, so wie es heute vom Kapitalismus und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geregelt wird, besteht aus Aktivität und begünstigt dabei die „Macher“, nicht die geistreichen Theoretiker. Wer nicht handelt, dem wird ein (irgendein) Schicksal vom Leben aufgezwungen. Zwischem dem handgemachten Erfolg und dem Totalversagen ist nur ein kleiner Spalt und meistens bestimmt der Zufall, auf welche Seite der Würfel fällt.

Erfolg kann nur derjenige haben, der das Leben an sich reißt und ausreichend gierig und einflussreich ist, um in der Masse der anderen nicht vollends unterzugehen. Jeder sucht sein Alleinstellungsmerkmal und bei dieser Suche entfernen wir uns meistens immer weiter von den anderen. Wir können dabei sehr erfolgreich werden, doch enden wir meistens ärmer als vorher.

Alles und alle sind daher in Bewegung, alles und alle sind „just-in-time“.

Das ist ein Modewort, und soweit ich das richtig verstanden habe, bedeutet es, dass die Lagerhaltung der Betriebe auf die Straße verlegt wird. Das spart Kosten und ist dank moderner Verkehrs- und Kommunikationsmittel nomalerweise sehr gut möglich.

Nur im Winter klappt es nicht so gut, weil dann die Straßen vereist oder zugeschneit sind. Die Ironie an der Sache ist, dass die „just-in-time“- Lieferungen für wichtige Produkte wie Streusalz oder Enteisungsmittel dann nicht mehr rechtzeitig ankommen oder aus Kostengründen an den Lagermöglichkeiten (den Vorräten) gespart wurde. Komisch, dass der moderne Mensch es irgendwie „verlernt“ hat, Vorräte zu bilden und witzig, wie verrückt und beinahe psychotisch er nun auf die Veränderungen eines Winters reagiert, der ja nur ca. 4 Grad kälter als ein normaler Winter ist.

Aber was ist schon normal in der Geschichte des Menschen, der sich über die Jahrhunderte und Jahrtausende seines Bestehens mit immer wieder neuen Katastrophen und Schicksalschlägen auseinandersetzen musste? Man denke z.B. an die Pestkatastrophen oder andere nicht behandelbare Krankheiten im Mittelalter, die Ernteausfälle bei einem nass-kalten Sommer, die zu erbarmungslosen Hunger führten und der nicht mit einem eben mal „just in time“ gelieferten Müsliriegel über die Autobahn gestillt werden konnte. Wir jungen Menschen kennen solche Ausnahmezustände nicht und daher sind wir darauf nicht vorbereitet. Wir sollten vielleicht wieder auf unsere ältesten Verwandten hören, die wir noch belächelt haben, als sie in der Nachkriegszeit weiterhin Vorräte gehortet haben… wir sollten auf sie hören und überlegen, was sie uns über wirklich schwierige Zeiten zu erzählen haben.

Was machen die Menschen erst, wenn die Klimakatastrophe weiter voranschreitet und es zehn Grad kälter als normal ist? Wenn wir jeden Winter und jeden Sommer solche Extreme haben werden? Wird man irgendwann beginnen, umzudenken und nicht mehr auf der letzten Minute über Weihnachten „just in time“ bei den Verwandten sein? Wird das unser „modernes“ Leben überhaupt zulassen? Oder verpassen wir dann einen wichtigen Termin? Werden wir vielleicht einsichtig und erkennen die Bedeutung der Familie und der Familienbande wieder oder wird weiterhin unser Egoismus und das in dieser Zeit so hoch geschätzte Individualisierungs- und Emanzipationsstreben über jede andere Einsicht und „Moral“ siegen?

Wann beginnen wir zu begreifen, dass es eben nicht „normal“ ist, über Weihnachten mit einem Flugzeug in den Urlaub zu fliegen und dabei Unmengen an Kerosin zu verbrauchen und ehemals in großen Tiefen gespeichertes CO2 in die Luft zu blasen? Wann werden wir erkennen, dass die Autos in Bezug auf ihre Massenkompatibilität, Rentabilität oder Wettertauglichkeit nicht unbedingt die bedingungslose Mobilität der Zukunft sind? Und wann wird man erkennen, dass die Bedeutung eines Massentransportmittels wie die Bahn zu wichtig für viele Menschen ist, als dass sie einzig und allein einem Renditebestreben unterworfen werden darf? Dazu bräuchte man aufrechte Politiker, die die Probleme der Menschen und Bürger wirklich ernstnehmen und keine Politiker, die nur die Interessen der jeweiligen Lobbys meistbietend verwalten…

Und warum bauen die regionalen Städteplaner immer neue Parkplätze, Brücken, Umgehungsstraßen, Autobahnauffahrten und hübsch verzierte aber meistens zu kleine oder zu enge Kreisel – vernachlässigen dabei aber völlig die nötige Instandhaltung bereits bestehender Trassen? Die Kosten für die Straßensanierung kann man ja zur Not über die Anwohner abwälzen oder wenn es weiterhin klemmt, die Steuersätze anheben.. der brave Michel wird schon ein guter Deutscher sein und alles tun, was die Obrigkeit von ihm verlangt…

Wann hat der Mensch jemals aus seinen Fehlern gelernt und wann war es ihm (bzw. seiner Führung) je möglich, in größeren Maßstäben als zwei Tage lang zu denken und zu handeln? Vor dem Hintergrund von Ausnahmezuständen wie einem harten Winter, werden solche Probleme viel sichtbarer als sonst. Aber führen sie auch zu einem Umdenken oder werden wir uns weiterhin einlullen lassen und den Winter einen guten Mann sein lassen?

Es mangelt an Planung, Vorausschauen, Verantwortungsgefühl, ganzheitlichem Denken… und das ist in einem ordnungsliebenden und als pflichtbewusst geltenden Land wie Deutschland.

Wenn ich mir den Status des heutigen Menschen so anschaue, dann denke ich, dass er das alles noch nie gekonnt oder immer wieder sehr schnell vergessen hat. Wohlstand macht träge und übergroßer Wohlstand führt zu Naivität.

Es ist nur leider allzu menschlich, das Kind immer erst dann zu retten, wenn es bereits in den Brunnen gefallen ist.

Eine „just in time“ – Rettung. Ohne doppelten Boden und ohne Netz.

Bahnfahren- gestern und heute

Sorry, wir haben die Menschen vergessen

Bahnfahren war früher eine schöne Angelegenheit. Zur Oma, zu den Verwandten, in eine große Stadt, es hat immer viel Spaß gemacht. Erinnert sich jemand noch an die alten Züge, da konnte man das Fenster runter ziehen und den Daheim gebliebenen zum Abschied winken!

Man saß nicht in diesen supermodernen Großraumabteilen, sondern ganz konventionell in einem Abteil mit sechs Leuten. Da musste man reden. Da musste man noch kommunikativ sein. Privatsphäre gab es nie viel, aber als Kinder durften wir meistens am Fenster sitzen, immerhin etwas. Manchmal haben wir aus Spaß was aus dem Fenster geworfen, aber nur wenn es keiner gesehen hat und das Abteil leer war. Oder wir haben das Fenster ein wenig runter gemacht, damit im Sommer kalte Luft reinkommt… dann ist immer ein Schaffner vorbeigekommen, meistens ein älterer Herr, der etwas streng geguckt hat und uns Kindern Angst gemacht hat.

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