Jungs in der Pubertät

Gestern kam in der 37-Grad Sendung auf ZDF eine interessante Reportage zum Thema „Jungs in der Pubertät“. Es ist ja derzeit ein Trend, dass man von den Problem-Bereichen der Mädchen etwas weggeht und die Jungs-Probleme in eine neu-feministische Perspektive rückt. Jahrelang wurden Mädchen gefördert, bis man schließlich festgestellt hat, dass Jungs auch Probleme habe und tlw. ganz andere, die auch ganz anders zu lösen sind.

Wie bei den 37-Grad Sendungen üblich, wurden die persönlichen Biografien sehr in den Mittelpunkt gerückt. Die Reportage berührt durch ihr „Mittendrin und nahdran-Gefühl“ und dass man mit den sorgfältig ausgewählten Protagonisten gut mitfiebern kann. Da ist der Junge aus der gehobenen Mittelschicht, dessen ehrgeizige Eltern wünschen, dass er am Gymnasium gute Noten nach Hause bringt, sich aber schon bald wundern, dass diese Noten immer schlechter werden, je älter er wird. Auch das anfängliche Klavierüben klappt nur noch mit Druck, aber nicht mehr freiwillig. Das Kinder-Hochbett soll auf Wunsch des Jungen abgebaut und in ein „normales Bett“ umgebaut werden. Netter Nebeneffekt: Das gehasste Elektro-Klavier kann gleich mit verschwinden. Dieser Junge ist noch der unauffälligste und kann vor allem durch seinen Wortwitz und seine Intelligenz viele Probleme beschwichtigen. Dass ihn aber schon bald die volle Wucht der Pubertät trifft und diese sich vor allem im inneren Widerwillen gegen Autoritätspersonen zeigt, ist unübersehbar.

Dann gibt es noch einen Jungen, der in seiner Schule gemobbt wird, vor allem in Deutsch und Englisch sehr schlechte Noten schreibt und mit seinem Vater alleine zu Hause lebt. Ihm sieht man die Probleme förmlich an. Er ist sehr zurückhaltend, beinahe verängstigt. In der Schule muss er sich nicht nur gegen seine eigene Lernschwäche, sondern auch noch gegen größere, stärkere und bei den Mädchen einflussreichere Klassenkameraden durchsetzen. Ein klassisches Problem, dass hauptsächlich Jungs betrifft, sorgt doch das von außen an sie angelegte Rollenverständnis dafür, dass sie stark zu sein haben und sich jederzeit durchsetzen und behaupten müssen. Wo ein innerer Rückzug bei Mädchen viel eher akzeptiert wird und mit Aufmerksamkeitsgesten verhindert oder abgemildert wird, fallen Jungs bei emotionalen Problemen viel schneller in einen Strudel der Angst, des Schweigens und der Hilflosigkeit. Die meisten weiblichen Erziehungspersonen können oft nur wenig machen und viele Eltern sind damit überfordert. Die -gut gemeinten, aber schlecht umgesetzten- Appelle des Lehrers an den Vater „Lesen sie ihm doch mehr vor, mein Vater hat es auch gemacht, obwohl er im Schichtdienst arbeitete“ können da eigentlich nur fruchtlos verhallen. Die Probleme der Jungs gehen tiefer, als dass ein einziger Appell und das immer gleiche Denken „die Eltern sind schuld, das System aber ist perfekt“ wenig effektiv sind. Ein wenig blüht dieser Junge auf, als er an einem extra angeordneteten „Boy´s day“ in einen Kindergarten schnuppert und dort seine Leseunlust beim Vorlesen für die Kleinen überwindet. Auch das Fußballspielen mit den Kindern klappt gut. Als ihn die Interviewerin fragt, ob er es sich vorstellen könnte, hier zu arbeiten, kommt aber das verinnerlichte Rollenmodell schon voll durch „Ja, es macht grundsätzlich schon Spaß, aber lieber wäre mir ein Männerberuf.“ Ob die Frauen in dem Film es sich so vorstellen, dass ein Mann sein eigenes und persönliches Rollenverständnis aufgibt, nur weil sie es wünscht oder es politisch gerade schick ist?

Zum Schluss gibt es noch einen hochgewachsenen Jungen, der gerade dabei ist, seine mittlere Reife abzuschließen, aber auch bereits mit schlechten Noten und einer allgemeinen Unlust kämpft. Zu Hause langweilt er sich meistens, also will er lieber mit seinen Kumpels um die Häuser ziehen. Die Mutter aber zwingt ihn- wenigstens an einem Tag in der Woche- zu Hause zu bleiben, beim Hausputz zu helfen und sich um seine Bewerbungen und andere Schreibtischtätigkeiten zu kümmern. Dass das bei ihm nicht besonders gut ankommt und pädagogisch auch nicht besonders sinnvoll umgesetzt wird, verwundert den Zuschauer kaum. Er schickt seine Bewerbungen zu spät weg und wird bei einem Bewerbungsverfahren der Bundeswehr mit einer knallharten Realität konfrontiert. Gestandende Männer, die schon längst in ihrem Beruf stehen und einen bestimmten Status erreicht haben, durchleuchten ihn mit ihrem Röntgenblick. „Warum haben sie nur eine ‚Ausreichend‘ in Technik?“ wird da gefragt. „Mich hat es nicht so interessiert. Da ging es um quadratische Funktionen und Parabeln“ ist die schüchterne und unbeholfene Antwort. In den Sozialnoten kann er gut abschneiden, als er danach gefragt wird, kann er seine positiven Qualitäten allerdings nicht genügend „verkaufen“- zu schüchtern. Wirklich vorbereitet hat ihn wahrscheinlich auch keiner. Später sehen wir, dass eine Absage kommt, aber immerhin landet er auf einer Warteliste.

Die Sendung war interessant recht gut, stellenweise aber zu voyeuristisch. Mir haben ein paar Erklärungen und Lösungen gefehlt. Ein, zwei Sätze von Klassenlehrern zur Situation der betroffenen Jungs sind einfach zu wenig. Ein paar Fachaussagen von Kinderpsychologen hätten geholfen, für Eltern oder den interessierten Zuschauer vernünftige Antworten und Lösungen zu finden.
Man hat ansonsten das Gefühl, dass der Zuschauer dem Schicksal der „schwierigen Jungs“ nur unbeteiligt zusehen soll.
Nach der Sendung wird erleichtert die Fernbedienung weggelegt und sich darüber gefreut, dass die eigenen Kinder einfacher sind und dass die eigene Pubertät schon lange vorbei ist.