Der Missbilligungs-Gutschein

geht meist zurück an den Absender

Liebe Hartz IV Eltern,

nun seid ihr mal wieder in die Kritik geraten. Das Bildungspaket ist nach langem Hick und Hack endlich veröffentlicht worden und steht jedem offen, aber niemand nimmt es an. Ja, interessiert euch denn die Bildung eurer Kinder nicht mehr? Habt ihr keine Lust auf ein paar Euro mehr, die euch doch zustehen? Die drei Euro für das Mittagessen, ist das nichts? Oder die zehn Euro für Nachhilfe und Geigenunterricht?

Nun, ich nehme an, ihr wollt das Klischee auf der einen Seite erfüllen: Geld das man nicht versaufen und verrauchen kann, ist kein gutes Geld? Oder liegt es doch an der ausufernden Bürokratie? Achso, euer Geld reicht noch nichtmal für einen Schulzranzen und der kostet achtzig Euro… nebenbei müssen noch die horrenden Energiepreise und die Schulden getilgt werden hm, das ist ein Problem. Da müssen aber die Energiekonzerne was ändern, da können wir nix für! Wir waschen da unsere Hände in Steuermilliarden-Unschuld.

Achso jetzt verstehe ich: Ihr habt gar nicht gewusst, dass es sowas gibt.. weil ihr kein Bildungsfernsehen schaut und auch keine Zeitungen kauft. Ihr habt auch keine Kollegen aus Akademikerkreisen mit denen man das am Stammtisch so nebenbei besprechen könnte. Ich verstehe. Also quasi abgeschnitten von der weiten Welt? Ein wenig ausgegrenzt vielleicht? Oder einfach nur faul und dumm? So wie der Herr Sarrazin sagen würde? Der muss es ja schließlich wissen!

Also könnt ihr auch keine Bildungsgutscheine für die Kinder beantragen, weil man zum Beantragen Bildung braucht… herje das ist ja ein Kreis ohne Anfang und Ende!

Äh das ist wirklich dumm gelaufen. Ihr müsst nämlich damit rechnen, dass wir da einen anderen Erfahrungshorizont haben als ihr.

Wir haben gedacht, dass ein bürokratisches Monstrum mit vielen Regeln und vielen „wenn und abers“ die Liebe in reinster Form darstellt. Es hat ein paar Vorteile (für uns). Wir können uns super profilieren, weil wir ja was für die Bildung tun. Alle sehen und hören, wie wichtig uns die Bildung für unsere/ eure Kinder ist. Und falls das jemand nicht sehen sollte, können wir noch ein paar Steuermillionen in teure Anzeigenkampagnen oder anderen Marketing-Schnickschnack stecken. Okay?

Achso, das lest ihr auch nicht? Ach, das braucht ihr auch nicht. Das ist nicht für euch. Das ist für unsere Wähler, von der.. hm sagen wir, „besseren Zielgruppe“. Die Wähler von der CDU und CSU, die konservativen Bürgerlichen mit ein wenig mehr Geld und bestimmten, sagen wir „Ansichten“. Da passt es eigentlich ganz gut.

Aber jetzt, sag bloß, ihr wollt unsere Gutscheine nicht? Als ob wir das nicht immer gewusst hätten. Erst halten wir euch ein Seil hin, mit bequemer zehn Meter Ausgangshöhe.. und jetzt wollt ihr nicht darüber springen?

Das ist ja fast so wie bei den Autofahrern. Die wollen auch kein E10 kaufen, obwohl es doch so gesund ist! Trinkt doch endlich, äh ich meine gebt doch eurem geliebten Auto endlich mal was Gutes. Stört ja auch keinen ,wenn in Afrika Leute verhungern und die Anbauflächen für unsere geliebte Mobilität freigehalten werden.

Was solls. Das ist halt Politik. Aber das versteht ihr sowieso nicht.. dazu braucht man erst mehr „Bildung“…

Das Leben ist hartz und ungerecht

Fünf Euro sollen es also nun werden. Fünf Euro sind nicht besonders viel, davon kann man sich eine Packung Aspirin oder alternativ ein bisschen Gemüse kaufen.
Reiche Menschen schaffen damit sogar ein Glas Wein, wie jemand in Anne Will berichtete, als er gefragt wurde, was man sich von fünf Euro leisten kann. Ja, es ist ein wenig seltsam, dass diese öffentlichkeitswirksamen Diskussionen immer nur von denjenigen geführt werden, die es sich leisten können, in Talkshows zu sitzen und dafür anscheinend ausreichend „verdienend“ und für das öffentliche Interesse ausreichend interessant sind.

Die zuständige Ministerin verteidigte ihre Thesen eisern und machte auch keine Anstalten, sich von den verbalen und heftigen Seitenhieben des Linken-Vorsitzenden Klaus Ernst beeindrucken zu lassen. Gebetsmühlenartig und mit stoischer Ruhe, sowie einem recht abgeklärten Blick wiederholte sie ihre Thesen in einem schulmeisterlichen Ton. „Wer arbeitet, soll mehr haben als der, der nicht arbeitet“ war ein wichtiges Argument, und dabei wurde der Zuschauer unweigerlich an die Aussagen des FDP Chefs Westerwelle erinnert, der Anfang des Jahres mit entsprechenden Aussagen über Hartz IV-Empfänger Furore machte und seitdem in der Versenkung verschwunden ist. Den Respekt vor den Niedrigverdienern gelte es zu bewahren, denn schließlich gehen manche Menschen für sehr wenig Geld arbeiten, so dass sich für viele Arbeitslose die Aufnahme von Arbeit kaum noch lohne. Dieses Argument mutet ein wenig zynisch an, so nach dem Motto: „Wir vergleichen euch jetzt mit den untersten Schichten und wenn es denen immer dreckiger geht, muss es euch eben auch immer dreckiger gehen.“ Viel besser wäre es, in diesem Bereich wirtschaftliche Neustrukturierungen einzuleiten und den Niedriglohnsektor zu überdenken, vielleicht mit einem Mindestlohn. Dass auch Außenstehende Institutionen wie die OECD diesen Teil des Arbeitsmarktes in Deutschland kritisch einschätzen, zeigt dieser Link.

Dennoch ist es irgendwie zynisch, angesichts der hungernden Menschen vor Essens-Tafeln, von schlecht gekleideten Kindern, denen das Nötigste fehlt, die meist kein richtiges Frühstück bekommen und der allgemeinen Erkenntnis, dass die Schere zwischen arm und reich in Deutschland immer weiter auseinander geht. Dies scheint eine unaufhaltsame Entwicklung zu sein und nichts in der Welt hält sie auf. Die Argumente wirken auf beiden Seiten nicht überzeugend und die Diskussionen sind meist von sehr starker, emotionaler Aufladung geprägt. Am meisten schadet es den Betroffenen selbst, über deren Köpfe hinweg diskutiert wird. Die Hartz IV-Empfänger scheinen überhaupt die Problemgruppe an sich zu sein und sie sind auch ein Sündenbock für vieles. „Sie können ihre Kinder nicht richtig erziehen“ > also brauchen wir Bildungsgutscheine und andere Aktionen. „Sie trinken und rauchen zu viel“ > also werden diese Berechnungen in Zukunft herausgenommen, schließlich brauchen wir auch einen pädagogischen Effekt.. und ganz wichtig: Sie haben keine Lust auf Arbeit und sind faul > daher kürzen wir die Sätze oder erhöhen sie nur ganz wenig.

Hinter all den politischen Ambitionen stecken Menschenbilder und der Versuch, die inhomogene Gruppe der Hartz-IV Empfänger in eine Schublade zu stecken, genauso wie man es heutzutage mit den „Bankern“ macht, die durch die „Bank“ alle böse sind und risikoreich unser Geld verzocken.

Dass es in jeder Gruppe auch Ausreißer und Ausnahmen gibt und Menschen, die es anders machen wollen, übersieht man anscheinend komplett. So trifft ja der Hartz IV -Satz ja auch Menschen, die arbeitslos geworden sind und nach dem Bezug von ALG keine Stelle mehr erhalten. Es geht vor allem um die Frage: Was gibt die Politik und die Gesellschaft den Menschen zurück, die jahrelang gearbeitet haben und nun ohne Verschulden in die Arbeitslosigkeit gerutscht sind? Derzeit gibt es eher Bestreben, alle Sozialleistungen zu kürzen, so auch beim ALG 1.

Anstatt dass man sich über die Leistungen eines großen und mächtigen Sozialstaats freut, schaut man immer ein wenig geizig auf die Kosten, die er verursacht und überlegt, wie man nicht hier und da ein wenig abzwacken kann. Nicht der Sozialstaat ist das Problem, sondern die Leute, die ihn bezahlen müssen und dass diese steuerliche Lasten teils sehr ungerecht verteilt sind. Am oberen Ende der Einkommenskala profitieren Unternehmer, Selbstständige und große Firmen von immer ausgedehnteren Entlastungen und einem Spitzensteuer-freundlichen Steuersystem sowie einer großzügigen Kreditvergabe, an der unteren Skala kürzt man immer weiter und schafft soziale Kälte und Abstiegsängste. Die Mittelschicht -und damit der Großteil der Wähler- sitzt aber dazwischen und muss jeden Tag arbeiten, damit am Ende nur noch ein Bruchteil an Netto-Einkommen im Geldbeutel übrig bleibt, wenn es nicht von steigenden Krankenkassenbeiträgen, Energie- und Lebenshaltungskosten aufgefressen wurde.

Die gesamte Denkweise ist zynisch und zeigt bei vielen Menschen in der Politik eine kapitalistische und vor allem egoistische Denkweise: Wer arbeitslos geworden ist, „ist eben selbst schuld“ – wer keine Arbeit findet, „der ist nur zu faul“ – und Arbeitlose brauchen nicht soviel Geld, „weil die eh alles versaufen und nur Fernsehen schauen“.

Die autoritäre Strenge und die allgemeine Unmenschlichkeit ist das wahre Problem an diesen Entscheidungen und vor allem ein Mangel an Mitgefühl. Aber mit diesem Mitgefühl meine ich auch nicht, alle Menschen in Watte zu hüllen und ungeachtet der persönlichen Situation Pauschalurteile im Guten zu fällen. Ich finde es aber wichtig, genau hin zuschauen und mit einerseits kaufmännischen-wirtschaftlichen, aber auch sozialen und ethischen Verstand die Ursachen für Armut herauszufinden und zielgerichtet Maßnahmen zu ergreifen, die diese Ursachen beheben.

Derzeit verfällt die Politik eher in heiß aufgeladene, aber dennoch nutzlose Scheingefechte: Die einen verteidigen ihr Sparen an den Armen (währenddessen sie Hoteliers, Energiekonzernen und Banken Milliarden schenken), die anderen schreien blindwütig und einseitig nach „mehr“, was genauso wenig glaubwürdig herüberkommt. Beide Lager, die Befürworter von höheren Sozialleistungen, aber auch die „sozial kalten“ sollten sich zusammensetzen und überlegen, wo die wirklichen Probleme sind. Wie kann man beispielsweise die Brücke schlagen, zwischen den ständig gesuchten Fachkräften und einem ruhenden, wenig gebildeten Potential, dass einfach nicht „arbeitsmarktskompatibel“ ist?

Wie kann man verhindern, dass sich Hartz IV- Traditionen in den Familien vererben und die Menschen endlich aus ihrer gesellschaftlichen Stagnation gelöst werden? Wer nimmt in diesen Tagen endlich mal die Worte „Bildung“ und „Schulsystem“ in die Hand? Warum verabschiedet man sich nicht endlich von dem mehrgliedrigen Schulsystem, dass die gesellschaftliche Separierung quasi per Gesetz zementiert? Die Folge ist, dass „einfache“ Berufe nicht mehr so angesehen werden, dann aber indirekt auch ausgebildete Meister fehlen.  (( Von einem Computer aus alleine kann man ein Haus allerdings nicht bauen… Die Folge ist auch, dass Innovationen in diesem Bereich gern übersehen werden.  ))

Fazit
Mit dem alleinigen, öffentlichkeitswirksamen Diskutieren in Talkshows und dem gegenseitigen Verstricken in Argumenten wird man in der Sozialpolitik überhaupt nichts bewirken. Es muss ein umfassendes Neudenken in der Politik stattfinden, aber mit dieser schwarz-gelben Regierung wird es schwer, weil sie die Schlüsselpositionen mit guten Politikern besetzt hat, die das Ruder eisern in der Hand halten. Die Opposition und andere soziale Gruppierungen können sich zwar in Demos auspowern und zornesrot eine verbale Keule schwingen, aber es ist zweifelhaft, ob sich die Regierung davon beeindrucken lässt. Den Betroffenen hilft das alles nur wenig, sie müssen weiter mit gesellschaftlicher Ausgrenzung und in ihrem Leben am Existenzminimum ausharren. Es ist zwar schön, wenn die Zahlen sagen, dass sie „gar nicht so arm“ seien, aber die Lebenssituation ist bekanntlich oft ganz anders. Vielleicht sollten manche Politiker so eine Lebenssituation mal selbst durchleben, damit sie spüren können, wie sich das anfühlt, jeden Cent umdrehen zu müssen?

Wem das alles zu deprimierend erscheint, kann Hartz IV immer noch in „Basisgeld“ umbenennen, dann schnell die Augen zumachen und darauf hoffen, dass alles besser ist, wenn er sie wieder geöffnet hat…

Vorurteile sind keine Lösung

Ich möchte heute einmal den Fehler mache, meine unausgegorene, einseitige und vourteilsbehaftete Stammtischmeinung zu einem Thema abzugeben, von dem ich keine Ahnung habe und mir nur einbilde, dass ich sie hätte- so wie es Millionen Menschen in und außerhalb des Internets täglich tun.

Und zwar frage ich mich als politik-un-affine Bloggerin, wohin denn nun der Kurs der Politik gehen wird, ob man/frau schon erste Anzeichen für einen „change“ mit Trommelwirbel erkennen kann oder ob es die Verantwortlichen schaffen, alles noch im Verborgenen für sich zu behalten und die Pläne erst neu geschmiedet werden müssen?

Auffällig ist z.B. wie schnell die Politiker damit sind, in die Hartz IV Ecke zu greifen, ich denke dabei an den Vorschlag der FDP ein sog. Bürgergeld einzuführen, dass mit dem viel diskutierten „Grundeinkommen für alle“ so rein gar nichts zu tun hat

Wenn man dann mal diesen Text durchliest und überlegt, welche Sanktionen es schon jetzt gegen Hartz IV-Empfänger gibt, wird einem ganz anders.

„Vorurteile sind keine Lösung“ weiterlesen