Religionsspecial, Teil 4

Das Religionsspecial

  • Teil 1 Übersicht und Einleitung
  • Teil 2 Atheismus und Gottfrage
  • Teil 3 Glauben im Wandel der Zeit
  • Teil 4 Religion im Alltag; der Buddhismus

Religion im Alltag

Einleitung

1997 kam ich das erste Mal mit dem Buddhismus in Kontakt. 2002 hatte ich dann eine Phase, wo es große persönliche Veränderungen gab und ich mich weiterhin intensiv damit beschäftigt habe. In dem heutigen Artikel, ca. sieben Jahre später, möchte ich versuchen zu klären, was bis heute vom Buddhismus übrig geblieben ist und wie sich meine Perspektive gewandelt hat. Ich selbst bin absolute Laie auf dem Gebiet und nähere mich dem Thema sehr vom Geist her (wie üblich im westlichen Kulturkreis). Ich analysiere es und habe versucht, manche Dinge auf den Alltag anzuwenden und mir dabei Gedanken gemacht. Der Text wird also eine kleine Zusammenfassung, was ich bis jetzt erlebt habe und wo die Stolpersteine und die Schwierigkeiten liegen. Noch etwas zum Schreibstil: Da ich versuche, meine Gedanken eins zu eins aus dem Kopf abzuschreiben, werde ich die stilistischen u. grammatikalischen Aspekte in diesem Text etwas zurückdrängen. Manche Formulierungen könnten dabei holprig oder ungeschickt erscheinen. Das liegt einfach daran, dass ich schnell schreibe, um alles aus dem Kopf zu bekommen. Vielleicht muss ich hinterher noch den einen oder anderen Satz umdrehen, also bitte um Entschuldigung, wenn etwas zu umständlich aufgeschrieben wurde. 🙂

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Ein schöner Traum

Im Buddhismus gibt es interessante, philosophische Vorstellungen über den Zustand der Welt. Einer davon geht davon aus, dass die ganze Welt, so wie wir sie leben, eine Art Illusion ist, dass es alles Erscheinungen sind, die von Menschen erschaffen werden. Der Film „Matrix“ hatte ein sehr passende Metapher dazu gefunden: Menschen sitzen wie angekettet in einem Behälter und werden mit elektrischen Signalen gefüttert, von denen sie ausgehen, dass dies ihre Realität sei (heute nennt man das Internet…). Alles ist simuliert: Hungergefühle, Bewegungen, Bilder, Töne, Freundschaften, Arbeit- es gibt nichts, was außerhalb dieser „virtuellen Realität“ liegt und somit können sie auch nicht erkennen, was echt oder was falsch ist. Davon ausgenommen die Freiheitskämpfer, an ihrer Spitze „Neo“, der sich dann daran macht, das ganze Komplott aufzudecken und eine Art Sinnsucher in der grauen Tristesse der anderen darstellt.

Ähnliche Vorstellungen von der Welt kann man in jeglichen computersimulierten Umgebungen bekommen, z.B. sehr reale Computerspiele, Videos auf Großleinwänden, 3D-Brillen oder andere Dinge, die es einen kurzfristig vergessen machen, dass man nur eine Erscheinung der Realität sieht, aber nicht die Realität an sich.

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Interdependenz

Das wichtigste philosophische Prinzip im Buddhismus scheint die gegenseitige „Abhängigkeit“ (Interdependenz) zu sein. Zumindest stoße ich immer wieder darauf, wenn ich Bücher darüber lese. Der Dalai Lama scheint das Thema besonders zu lieben und erzählt sehr viel darüber. Ich möchte also mal mit Hilfe eines Blogartikels überlegen, was „Abhängigkeit“ eigentlich bedeutet und wie wir das Prinzip in unserem Leben verstehen und anwenden können.

Abstrakt gesehen soll das – auch mit dem Begriff „Leerheit“ bezeichnete Konzept- bedeuten, dass alle Dinge in gegenseitiger Abhängigkeit bestehen und sie keine Selbst-Natur haben, die von allem losgelöst ist. Ein Baum z.B. besteht aus Elementen, die die Erde zur Verfügung stellt, er wandelt Sonnenlicht durch Photosynthese um, er produziert Sauerstoff und nimmt Kohlendioxid auf. Die Zellen teilen sich, folgen ihrem Plan, den die DNS vorgibt, je nach Umweltbedingungen formt sich ein mehr oder weniger schöner Baum. Der Baum an sich ist im Grunde nur die Summe seiner Teile und diese Teile wiederum auch nur wieder immer kleinere Teile. Der Begriff „Baum“ ist ein Element unserer Sprache und der Versuch, die Gruppe von Baumteilen zu einer Elemente- Menge zusammenzufassen und abstrakt zu bezeichnen. Dieser Zeiger, der auf die Baum-Elemente zeigt, ist wiederum veränderlich und kann z.B. je nach Sprache ganz anders besetzt sein und andere Buchstaben verwenden. Sogar die Buchstaben können anders sein oder es gibt nur Schriftzeichen dafür! Wo ist der Baum an sich also zu suchen?

Wissenschaftlich gesehen müsste man darüber hinaus die Frage stellen, was sind die kleinsten Teile und wie sehen sie aus? Ist letztendlich alles nur Energie, mal mehr oder weniger fest? Alle Teile schwingen, d.h. das ganze Universum auf das wir uns beziehen, ist nicht statisch, sondern schwingt, wir haben Frequenzen, Rhythmen, Tag und Nacht, Kreisbewegungen, aber alles andere als Ruhe und „Beständigkeit“. Es gibt z.B. Zerfallszeiten von Atomen, was wohl bedeutet, dass sie irgendwann sowieso verschwinden, zerfallen, sich neu gliedern. Ständig sind wir mit chemischen Reaktionen umgeben, in unserem Körper brodelt es nur so von hochkomplexen Abläufen, die wir meistens gar nicht beachten!

Unsere Nahrung, die wir für das tägliche Auskommen benötigen besteht beispielsweise aus einer Scheibe Brot. Das Brot wiederum musste erst verkauft werden, wir brauchen Geld (EC-Automaten, Banken) und einen Arbeitgeber (Krawatte, Anzug, Auto, Frühstück, Handy). Der Supermarkt musste mit dem Großhandel verhandeln, dieser wiederum beim Bäcker einkaufen. Der Bäcker (Bäckermütze, Schürze, Backofen, starke Hände) braucht Mehl und andere Zutaten, u.a. Getreide. Getreide wird beim Bauern angebaut, der braucht wiederum Maschinen (Mähdrescher, Traktor, Maschinenbau, Bildung), Dünger, finanzielle Subventionen. Egal, wohin wir schauen es gibt immer Abhängigkeiten und Wechselbeziehungen, nicht existiert für sich. Wir können jede Abhängigkeit je nach Perspektive und „Zoom“ bis hin zur Unendlichkeit aufsplittern, es gibt kein Ende. Je mehr wir untersuchen, desto mehr Abhängigkeiten und Beziehungen fallen uns auf und es gibt keinen Punkt, wo man definitiv sagen kann „Das Ende der Untersuchung ist erreicht.“

Die modernen Wirtschaftskreisläufe sind autonom, die Butter steht halt einfach im Regal, Geld hat man halt irgendwie auf dem Konto (oder nicht). Meistens machen wir uns keine Gedanken über die tausende Waren, die wir täglich konsumieren und schon gar nicht über die Menschen, die dahinter stehen. Das wäre auch zu komplex. In der gewöhnlichen Alltagssichtweise komprimieren und vereinfachen wir Dinge und Abläufe, um die Datenflut zu reduzieren und entscheidungsfähig zu bleiben. Je höher die Anzahl der bekannten Variablen ist, desto schwieriger wird es für unser Gehirn, alles genau zu berechnen und zu einem Fazit zu kommen. So ist es kein Wunder, dass die gesteigerte Lebensgeschwindigkeit die einfachen Tatsachen auf sozialer Ebene verdrängt, dass wir von anderen abhängig sind. Da alles so schön autonom und scheinbar selbstständig läuft, sehen wir das dahinter nicht mehr und können leicht die Zusammenhänge übersehen.

Von unserem Nachbarn sind wir heutzutage überhaupt nicht mehr „direkt abhängig“. Wer hat schon mal ein Pfund Mehl beim Nachbar geborgt? Dieser Fall wird im Fernsehen so gerne gezeigt, aber ich denke in echt ist er sehr selten.

Auch sind wir nicht mehr von unseren Verwandten so abhängig wie früher. Wir brauchen sie nicht mehr! Wir können uns die Freunde aussuchen, dahin ziehen wo wir wollen. Medizinische oder psychologische Hilfe beantragen, mit einem Pfarrer sprechen, eine Altersversorgung aufbauen, Ratgeber über Beziehungen lesen, im Internet das neuste Rezept ergooglen und das alles ohne je ein einziges mal ein Familienmitglied um Rat gebeten zu haben. Frauen brauchen ihre Männer nicht mehr so wie früher. Das Leben in der modernen Kultur wird auf die Kraft reduziert, die wir mit unseren Füßen aufbringen können (Autofahren), ein Knopf zieht das Verdeck automatisch hoch, für die Wegfindung gibt es das Navigationsgerät. Menschen werden überflüssig. Kinder steckt man in den Kindergarten, die Kosten übernimmt der Staat, Männer können Optionalerweise noch ein wenig Unterhalt zahlen (für den Luxus) oder man geht halt zum Amt.

Aber wir müssen bei niemand auf Knien rutschen, wir müssen uns nicht entschuldigen, wir brauchen keine zwischenmenschlichen Konflikte zu lösen und das ganze andere Gedöns ist auch überflüssig. Religion, Weltflucht, Moral- Gesabbel, was auch immer! Das moderne Leben führt dazu, dass das menschliche Leben und die menschlichen Werte zurückgedrängt werden können, wenn wir nicht etwas dagegen halten und unseren Geist, Gefühl und Menschenverstand benutzen.

Da wir das Geld als reduzierten Faktor der Handlungsfähigkeit haben, lassen sich die anderen (mitunter störenden) Faktoren leichter herausrechnen. Das Leben wird einfach und bequem, aber vielleicht auch „einsam“ und leer. Wie die Schattenseite einer Droge, die uns zuerst sehr glücklich macht und hinterher eine Leere und Depression hinterlässt, verführt man uns zu einem modernen, automatisierten Leben, was keine tiefgründige Bedeutung mehr hat und schnell zum reinen Vegetieren wird.

Im Buddhismus heißt es nun, man soll über diese gegenseitige Abhängigkeit nachdenken, in Folge dessen zu der Einsicht gelangen, dass wir von allen anderen mehr oder weniger abhängig sind und zum Schluss Mitgefühl für alle anderen aufbringen.

Wenn wir in unserem eigenen Egoismus verharren und meinen unser „Ich“ wäre von allen anderen losgelöst, führt es zu Stumpfsinn, Einsamkeit und Unglück. Wir können unser „Ich“ nicht wirklich beschützen, noch macht es einen Sinn, unseren Egoismus, unsere Ansichten, etc. übermäßig gegen andere einzusetzen oder gar „besiegen“ zu wollen. Wenn letztendlich alles Teil vom Ganzen ist, gibt es keinen Feind. Die linke Hand gehört zur Rechten und die Rechte zur Linken, die Frauen sind Teil der Männer und ihre Männer teil der Frauen. Es gibt nichts losgelöstes, kein für sich genommenes „weibliches Geschlecht“, was total unabhängig von den Männern existiert. Wer das glaubt, sollte man Frauen beobachten, die alleine einen Kaffeeklatsch machen und wie sie sich spontan verändern, wenn plötzlich attraktive Männer die Runde betreten. Sie sind plötzlich anders, sie reagieren auf ihre Umwelt, verändern sich, wollen ihnen vielleicht gefallen, genauso wie die Männer es andersrum auch machen.

Oder die Partnerschaften, die über die Jahre Menschen komplett umkrempeln, verbessern oder gar verderben können. Darin sieht man, wie sehr uns andere Menschen eigentlich beeinflussen und dass es letztendlich nichts gibt, von dem man sagen kann „es ist mein losgelöstes Ich und nichts beeinflusst oder verändert dieses Selbst“.

Zugegeben, es ist anstrengend, darüber nachzudenken, weil man die gewohnten Sprünge und Bequemlichkeiten mal auslassen muss. Darüber nachzudenken bedeutet bildlich gesehen, das Auto stehen zu lassen und sich zu Fuß auf den Weg zu machen. Man hat mehr Zeit, mehr Muße, sieht die Dinge mehr, wie sie eigentlich sind.

Ich kann nur jedem empfehlen, diesen Spaziergang mal zu probieren. 😉