Vollgas

„Jetzt will ich auch mal fahren“ sagst du zu deinem Partner.

Er guckt dich etwas ungläubig an. Es sieht so aus, als ob er überrascht ist.

„Ja, nur wenn du müde bist.. ich hab halt gedacht…“ du redest mal wieder zuviel und er sagt nichts.

Ihr geht auf die Toilette. Du brauchst etwas länger. Als du zum Auto kommst, sitzt er schon auf dem Beifahrersitz.
Du freust dich.

Du drückst den Knopf für die elektronische Zündung und stellst die elektrische Sitz-Auswahl auf „2“.

Es geht Richtung Parkplatz-Ausfahrt. Kurz schauen, ob auch keiner von rechts oder links angeschossen kommt, dann in Richtung Auffahrt. Kurz einfädeln, damit hattest du jahrelang Probleme. Es geht darum sich irgendwo „reindrücken und behaupten“ zu müssen. Ist dir immer schwer gefallen. Aber mit dem Auto geht es leicht. Es hat genug PS und Leistung. Du gibst Gas und fliegst über die Beschleunigungsspur. Die LKW fahren sowieso immer gleich schnell. Es ist leicht, sich da anzupassen und eine Lücke zu finden.

Es ist relativ wenig Verkehr heute. Es sind drei Spuren, die sich sehr eng durch die Kassler Berge schlängeln.
Rauf und runter, links und rechts und freie Fahrt. Es macht dir Spaß. Du fährst immer schneller.
Der elektrische Spurhalteassistent hilft dir auch bei schnellerem Tempo. Das Lenkrad wird leicht gegengesteuert, wenn du drohst, von der Spur abzukommen. Ein irres Gefühl! Du schaust du auf die Tachnonadel, schon über 180, dann bist du fast bei 200. Du bist erschrocken, dass es so schnell ging. Du entscheidest dich für eine akzeptable Reisegeschwindigkeit von 170 km/h. Da hast du noch genug Zeit zum reagieren. Wer links fährt, hat auch Verantwortung. Für alle die nicht so schnell fahren können oder wollen. Du genießt das Gefühl der Macht, dass du in dem kleinen Lenkrad trägst.

Weil es immer rauf und runter geht, brauchst du viel Leistung. Die 7 Stufen DSG- Automatik holt das Maximum aus dem relativ kleinen Motor, der aber zum Glück genug Drehmoment hat. Immer mal wieder schaust du in den Rückspiegel. Es kommt keiner. Du bist die schnellste.

Die grüne Alternative

Ein Tag in der Wüste.

Sand und trockene Luft. Geschätzte einhundertvierzig Jahre Leben „über das Maß hinaus“ hat den menschlichen Zufluchtsort Erde zu einem heißen Planeten gemacht. Aber noch gibt es Menschen, die das ganze leugnen und nicht wahrhaben wollen. Einsicht ist mit Anstrengung verbunden und vor allem die notwendigen, darauf folgenden Taten. Der menschliche Körper ist auf Energie-Einsparen programmiert. Wenig essen und viel Kalorien verbrennen ist dabei problemlos möglich. Problematischer wird es hingegen, wenn man viel isst und wenig verbrennt und die ganze schwere Arbeit von Benzin- oder Dieselmotoren machen lässt.

Am Rand ausgetrockenete Erde und Blumen, die das Köpfchen hängen lassen.
Vereinsamt und leise sterbend das ungegossene Gras. Die Menschen pflastern lieber ihren kompletten Garten mit Steinen zu. Sieht erstens geradliniger aus und muss zweitens weniger oft gegossen werden.
Dazwischen ein Käfer unsichtbar hüpfend und eine Ameise fleißig Stöckchen hebend. Wer denkt schon an die Kleinsten?

Staubige Luft, staubige Straßen und CO2-Schleudern, die unermüdlich die Straße entlangbrausen.
Am Berg sauge ich die Luft tief ein, weil mein Organismus nach beschleunigtem Puls und größerer Sauerstoffsättigung verlangt.

Gedankenlose Menschen, die sich nicht für mich verantwortlich fühlen am Steuer.
Aus kleinen Augen starren sie mich an. Treten nochmal aufs Gas, so dass eine schwere Wolke voller Gifte zwischen meine Nasenlöcher dringt. Wer hat schon Angst vor Gurken? Die größte Gefahr für das Leben lauert hier, direkt neben mir.
„Warum muss die auch ausgerechnet heute und hier fahren?“ bilde ich mir ein, dass die Fahrer es denken.

Mich starren sie an, die Alternative. Die- die am heutigen Tag das Fahrrad und den Weg per Muskelkraft genommen hat. Ich zähle die Autos auf der Landstraße und komme zum Schluss, dass auf hundert Autos ca. ein Fahrradfahrer kommt. Und das an einem Sonntag! Wo wollen die Menschen denn alle hin?

„Wählt mich“, grinse ich sie freundlich an. Ich bin die Alternative. Die radfahrende Prinzessin auf ihrem neuen Rad.
Wählt mich und ihr könnt auch so schlank und hübsch werden und die Fettpolster eures Lebens los werden.

Wählt mich und ihr werdet gesund sein. Die Autofahrer blicken noch etwas grimmiger und fühlen sich von mir und meinen guten Ideen belästigt. Vor allem die Frauen meinen, dass ich arrogant und überhaupt eine blöde Schlampe wäre. Ihr Mann am Fahrersitz schaut grimmig, und gibt schnell Gas, bevor die guten, aber fremden Ideen zum Fenster reinfliegen. Wer kann dem Kostenlosen heutzutage schon trauen?

Ich gebe Handzeichen zum Abbiegen und einer der Autofahrer fährt mir fast die Hand ab. Es ist hier nicht vorgesehen, dass fremde Radfahrer unangemeldete Handzeichen mit ausgestrecktem Arm geben. An einer anderen Stelle gibt es keine Radwege. Es ist hier nicht vorgesehen, dass jemand Rad fährt. Hier sind nur Autos vorgesehen. Beim Rückwärtsfahren wird ein anderer Radfahrer beinahe vom Bus überrollt, weil der hinten keine Augen hat und Radfahrer bekanntlich schnell und unberechenbar überall auftauchen können. Puh, das war knapp. Ich schaue mich intensiv um, entdecke aber trotz Nachforschung eindeutig kein Schild mit der Aufschrift „Bitte nicht unangemeldet hinter Bussen herumcruisen“. Das hier ist eindeutig Restriskiko, Restrisiko der schwächeren Verkehrsteilnehmer, die im Verkehrsplan der Kleinstadt nicht mit einberechnet worden sind.

Weiter geht’s trotz wachsender Demotivation. Wer hat gesagt oder gedacht, dass es einfach wird? An der nächsten Kreuzung dauert es fast zehn Minuten, bis ich endlich eine freie Stelle zum Überqueren gefunden habe.
Die Autofahrer schauen weiterhin grimmig und unausgelastet. Ich bin für eine Steuer, die unnötiges Fahren an Feier- und Sonntagen teuer macht. Und für einen steuerlichen Zuschuss für Elektrofahrräder.

Ihr Körper (der Autofahrer) hätte sich heute gerne bewegt. Leider sind sie nicht gut zu ihrem Körper. Sie wollen lieber mit Fünfzig einen Herzstillstand bekommen oder mit vierzig an Überfettung sterben.

Ihre Sache. Nicht meine, nehme ich an, wenn ich vom sozialisierten Gemeinwohl der Renten, Gesundheits- und Sterbekasse mal absehe. (Radfahren spart allerdings effektiv Gesundheitskosten ein, siehe z.B. hier)

Nicht mein Ding.

Oder etwa doch?

„Wählt mich“, lächle ich sie freundlich an. Ich bin die Alternative!