Kassenpatient

Eigentlich sollte es nur eine Routineuntersuchung werden. Mal die Augen checken, kann nicht schaden. Hab ich im Grunde auch noch nie gemacht. Noch nie hat sich ein Arzt wirklich mit meinen Augen beschäftigt. Zumindest solange ich denken und bloggen kann. Die waren immer okay. In der letzten Zeit zwicken und zwacken sie ein bisschen (Trockenheit), aber nichts ernsthaftes, möchte man meinen.

Sehtests wurden immer brav beim Optiker gemacht und danach ein Haufen Geld für eine nagelneue Brille ausgegeben. Bis mich mal jemande angestupst hat und gemeint hat, „das wäre totaler Quatsch, weil im Internet sind die doch inzwischen viel billiger!“. Und am Rahmen liegt´s mittlerweile auch nicht mehr, das olle Kassengestell hat also ausgedient. Nein, es sind die Gläser mit ihren speziellen Schleifungen und Schichtungen, die das ganze so teuer machen.

Eine kurze Recherche im Netz ergab: Sehtests gibt es nicht umsonst, je nach Optiker sollen bis zu dreißig (!) Euro fällig werden, wenn keine Brille gekauft wird. Das ist mittlerweile so wie die Gebühr in Reisebüros, wenn man sich nur mit bunten Prospekten eindecken möchte, aber dann doch zu Hause bleibt…

Gesagt, getan, ein Termin war schnell gefunden. Und eine Woche später sitze ich im Auto und brause in die City, um schnell noch einen Parkplatz zu erwischen. Herje, das Duschen und die Haare haben mal wieder viel zu lange gedauert, jetzt bin ich auch noch zu spät! Halb joggend, halb eilend, halb rennend komme ich im Treppenhaus des Ärzte-Centers an. Mietshaus-Mief rollt mir entgegen. Ein alter Fahrstuhl, der brav offen steht, aber anscheinend nicht benutzt wird. Wo geht’s hier zum Augenzentrum? Tausend Schilder, aber nicht das besagte. Schließlich entscheide ich mich für „Augenarzt“ und lande im dritten Stock, gesundheitsfördernd, selbstverständlich per Treppe.

Vor der Tür die Ernüchterung, man kommt nur per Klingel hinein. An der Theke wundere ich mich schon, so stehen vier Patienten vor mir und die zwei Damen am Empfang haben eifrig zu tun und jonglieren mit Patienten-Fragebogen, Kugelschreiber, Computer-Tastatur, Brillen-Schnell-Sehtests, Telefonanrufen und Patientenaufrufen hin und her. Frauen sind doch multi-tasking-fähig! Wer was anders behauptet, hat das noch nicht erlebt..

Ich setze mich also brav hin, auf den letzten Sitzplatz, der von 15 Stühlen noch übrig ist und ärgere mich über die stickige Luft. „Naja, kann ja nicht so lang dauern“ denke ich mir, während ich das Dekor aus den 70er Jahren und die gewagten Farbkombinationen aus Braun und Weiß bewundere..

Nach einer halben Stunde Wartezeit werde ich endlich aufgerufen „Juchu“ rufe ich schon , während sich alle zu mir umdrehen und das anscheinend gehört haben. Upps… Aber die Freude war zu früh ausgesprochen, denn ich ward nur geheißen, den zweiseitigen Fragebogen auszufüllen und abzugeben. Auch so ein Unding. Verbirgt sich hinter den Fragen doch ein Großteil der „Diagnose“, die man früher im Angesicht zu Angesicht gemacht hat. Was machen Leute, die nicht so gut lesen und schreiben können oder die die Fragen mangels medizinischen Kenntnissen gar falsch ausfüllen?

Während ich darüber noch nachdenke (Zeit gibt es reichlich) blättere ich gelangweilt in ausliegenden Broschüren. Zum konzentrierten Lesen reicht es nicht, dafür unterhalten sich zuviele Leute und ist die Luft zu schlecht. Andere Patienten entscheiden sich zum Spielen am Smartphone, wozu ich noch weniger Nerven habe.

Patient für Patient wird aufgerufen, während immer neue Leute eintreffen. Ein etwas kräftiger Mann mit Wanderrucksack und schweißnassen Gesicht (anscheinend ist er gelaufen) kommt zu uns ins Wartezimmer. Nach einiger Zeit entwickelt sich ein nettes Gespräch (ich bin zutraulich und hab nach 90 Minuten Warterei, und das ohne morgendliches Frühstück so langsam Langeweile)… mein neuer Sitznachbar gibt mir den Tipp, dass es in der Fußgängerzone „kostenlose Sehtests“ gäbe, die werben doch gerade damit. Ich beiße mir auf die Lippe, lasse mir aber nichts anmerken. Nachdem ich ihm meine bisherige Wartezeit verkünde, hebt mein Gesprächspartner sehr verwundert die Augenbrauen und meint „na sowas!“. Ob die mich vielleicht vergessen haben? Das frage ich mich auch, traue mir aber anhand der bissigen Kommentare, die von allen mit-Wartenden Patienten anlässlich der Wartezeit ausgetauscht werden, keine weiteren Rückfragen zu.

Eben drehe ich mich noch rechts und freue mich über die frische Luft aus den gekippten Fenster und nicht ganz so über den hereindringenden Baustellenlärm- da eilt mein Sitznachbar an die Theke und beschwert sich für mich bei den Damen am Empfang. Ich überlege noch, ob es mir peinlich sein soll (ich und mein Plappermaul) und wo das ganze Blut für meinen Kopf ist, der jetzt eigentlich rot werden müsste, als er mich über die ca. 20 wartenden Personen hinweg nach meinem Name fragt. Ich entscheide mich also doch, aufzustehen und die Sache „diskret zu regeln“. Im Sinne des Datenschutzes außerdem.

Die Dame regelt das mit der Warterei und schiebt mich anschließend per Tastenklick an die Spitze der Warteschlange im PC… so einfach geht das. Wenn ich das vorher gewusst hätte! Dann hätte ich den Computer gehackt und mich selbst nach oben geschoben. Der Mann neben mir, der keine 10 Minuten gewartet hat und anscheinend zu der ungeduldigen Sorte gehört, lässt sich einen neuen Termin geben und verschwindet mit freundlichem, von mir erwiderten Gruße.

Endlich, nach 120 Minuten Warterei (zwei Stunden!) und der bangen Frage, was ich mit der bald ablaufenden Parkscheibe mache, komme ich endlich dran.

Die Augen und die Brille wird gemessen, Dauer ca. 6-einhalb Minuten. „Dann bitte noch kurz warten, die Frau Doktor ruft sie gleich auf“…. gesagt, getan, nach erfreulich kurzer Wartezeit wird mir nochmal von der Frau Doktor, die vom Alter her meine Cousine sein könnte, mit einem grellen Gerät in die Augen geleuchtet, meine Fragen geklärt und „es ist alles okay“. Ein Rezept für Augentropfen gibt es nicht, die muss man sich selbst teuer kaufen (Dauer zwei Minuten)… „Nachtblindheit“ ist eine Erfindung und gibt es nicht, daher kann ich sie auch nicht haben und zum Schluss bekomme ich noch ein paar Tipps, wie ich den Text am PC größer machen kann (Strg und Plus-Taste, den Tipp kannte ich aber schon).

Auf meine Frage, warum ich nachts so schlecht sehe und mich auf Landstraßen mit Gegenverkehr immer unwohler fühle kommt die Antwort, dass das auch an den immer heller werdenden Scheinwerfern der neuen Autos liegt. Diese Antwort mag wohl stimmen, hilft mir aber nicht besonders weiter.

Etwas ernüchtert verlasse ich die Praxis und überlege, ob es daran liegt, dass ich Kassenpatientin bin. Oder einfach nur zu gesund für diesen ganzen Wahnsinn!

4 Gedanken zu „Kassenpatient“

  1. Diese Mittelchen gegen Augentrockenheit sind wirklich sauteuer. Ich habe mir vor ein paar Wochen eins besorgt, weil mir die Augen auf Arbeit wg. der Umwälzanlage dort immer so trocken werden.

  2. ja, ich hab sie gleich im Anschluss gekauft. 20 Ampullen für 10 Euro. Angeblich sind Ampullen besser als Flaschen mit Schraubverschluss, weil sie keine Konservierungsstoffe enthalten.

    Meine Ärztin hat gemeint, es soll auch ein Gel geben, das auf den Augen einen Film bildet und vor allem für abends besser sein soll (hält länger). Das hatte die Apotheke aber nicht vorrätig.

  3. Hallo Julia,

    habe mal wieder hier vorbeigeschaut. Irgendwie habe ich keine Zeit mehr fuer Sachen, die ich frueher scheinbar nebenbei gemacht habe, wie das Blog-Lesen oder -Schreiben. Ich weiss wirklich nicht, ob es am Aelterwerden liegt.

    Zum Thema: Die Augen sind gemacht worden, denke ich, fuer Lebewesen, die fuenfzehn Jahre lernen, fuenfundzwanzig Jahre jagen, sammeln und fortpflanzen, um anschliessend ihren Ruhestand zu geniessen. Dank der Medizin, des Fortschritts und der immer komplexer werdenden Umwelt hat sich dieses Schema stark verschoben. Nur die Augen haben davon nichts mitbekommen. Irgendwann so zwischen 35 und 45 wird es mit dem Lesen schwieriger (Das sollten dann ja die Juengeren uebernehmen, waehrend Oma und Opa daheim inder Hoehle liegen und Sohn 1 bei der Anfertigung Hoelenzeichnungen zusehen, waehrend Sohn 2 mit den Enkeln die Baeren aus der Nachbarhoele in ein Abendessen umzuwandeln versucht). Die Sehkraft nimmt also ab.

    Was in dem oben genannten Bild noch gar nicht aufgetaucht ist, in unserem taeglichen Leben jedoch eine entscheidende Rolle spielt ist der Computermonitor. Diese sind zwar verstellbar, belasten aber die Augen auf eine ziemlich einseitige Weise. Muss Sohn 2 beim Baerenjagen die Tiere ständig neu fokussieren, so bleibt der Fokus beim Monitor immer konstant. Das Auge wird nicht mehr gefordert und gibt schliesslich nach. Sprich: eine Lesebrille oder Gleitsichtbrille wird faellig.

    Immer haeufiger sehe ich Leute mit gelben Brillenglaesern. Diese Toenung soll die Kontraste vermindern. Das fuehrt dazu, dass bei Nachtfahrten im Auto genauso wie bei langer Monitorarbeit die Augen staerker gefordert werden und gleichtzeitig nicht so stark geblendet werden.Ich habe mir oft vorgenommen das mal auszuprobieren, aber diese Glaeser sind natuerlich nicht ganz billig. Und geschliffen sein muessen sie auch noch. Ja, wir nutzen unseren Koerper, als ob er ewig so bleiben wuerde wie er war. Und ploetzlich setzt der eine Sinn oder die andere Faehigkeit aus und kommt nie wieder. Hm… Kein schoenes Thema….

  4. Hallo Stephan,

    schön mal wieder von Dir zu hören. Deine interessanten Kommentare hab ich schon etwas vermisst. 😉

    Leider hab ich auch nicht mehr soviel Zeit zum Bloggen oder Kommentieren- aber ganz einstellen fänd ich irgendwie auch blöd.
    Der Hype mit den Blogs ist irgendwie verebbt, aber wäre ja auch blöd, wenn nur noch Technik- und Marketing-Blogs übrigbleiben würde… der Rest trifft sich auf Facebook und Twitter, was ich derzeit noch etwas umgehe (bzw. meide).

    Die Frequenz der langsamen Blog-Artikel, die vielleicht einmal im Monat geschrieben werden, kommt mir im Moment ganz entgegen.

    Ja, das altern, das sprichst du weise aus. Ein nicht so schönes Thema. Etwas, das einem der Arzt anscheinend auch nicht direkt sagt, wo es aber auch kaum entsprechende Vorbeugung im Gesundheitswesen gibt. Irgendwann ist man alt, irgendwann ist die „Maschine“ verbraucht und da fällt einem plötzlich auf, wie wertvoll sie war. Das mit der Kontrastbrille klingt ganz gut, vielleicht sollte ich das mal ausprobieren.

    Ich dachte immer, die Farben dienen dazu, die Kontraste zu verbessern und sowas wird von Snowboardern oder Radfahrern genutzt? Vielleicht gibt es da auch unterschiedliche Ausführungen?

    Hast du eigentlich noch ein Blog? Oder was, wo man kommentieren kann? 😉

    Viele Grüße
    Julia

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