Das ist nicht unsere Krise – II

aber wir sind alle betroffen

Der Ausdruck „Das ist nicht unsere Krise“ drückt in aller erster Linie aus, dass wir die Krise nicht verursacht haben. Dieses „Wir“ ist dabei nicht wirklich zu fassen, aber es ist doch eine scharfe Abgrenzung gegen verantwortliche Menschen und Entscheider in den obersten Schichten der Wirtschafts- und Politiksteuerung. Das „Wir“ sind die Bürger, die breite Mittelschicht, die „abgehängte“ Unterschicht und vielleicht sogar Teile der Oberschicht. Der Ausdruck suggiert aber noch etwas anderes: Wir sind zwar nicht verantwortlich, aber wir sind sehr wohl betroffen. Es entsteht also ein ungünstiges Spannungsfeld zwischen der Verantwortung der Krise und der Last der Fehler, die aus ihr entstanden sind.

Natürlich ist es auch unsere Krise! Es wäre zu einfach wegzuschauen und zu meinen, dass es uns alle nicht betreffen wird. Vielleicht sind die unmittelbaren Folgen noch nicht abzusehen und neben den ständig steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen (letztere werden von der Preispolitik der Discounter noch in Schach gehalten) merken wir nicht wirklich, dass etwas nicht stimmt und es irgendwo auf der Welt gekracht haben soll. Diese Illusion ist gefährlich. Vom Finanzwesen und der Wirkungsweise des Geldes und der allgemeinen Konzernpolitik sind wir schon längst entfremdet- als „normaler Arbeitnehmer“ kann man nicht sehr viel mehr machen, als zu lernen und sich für einen Job zu bewerben und dann auf ein wenig Glück zu hoffen.

Dass es aber im Zuge der Globalisierung schon seit Jahren ein Druck auf die „Wettbewerbsfähigkeit“ und damit hauptsächlich die Löhne als variabelsten und weichsten Faktor gegeben hat, wird mit der jüngsten Studie des DIW deutlich:

Das Institut kommt zum Schluss, dann in den letzten zehn Jahren die inflationsbereinigten Reallöhne im Schnitt um 2,5 Prozent gesunken sind. Besonders hart betroffen hat es die Niedrigverdiener: Wer zuvor 835 Euro verdient hat, muss zehn Jahre danach gerade mal mit 705 Euro auskommen, das ist ein Rückgang von 15,57 Prozent! Eine genaue Tabelle mit den Zahlen kann man hier nachlesen;  die Original-Quelle habe ich trotz langer Suche nicht mehr auf der DIW-Seite gefunden.

Die TAZ stellt noch die interessante Parallele fest, dass die Wirtschaft im Allgemeinen um ca. 16,3 Prozent gewachsen ist. Was liegt also näher als der Schluss, dass die Wirtschaft vor allem zu Lasten der Arbeitnehmer gewachsen ist?

Die Nachdenkseiten stellen nochmal genau den Zusammenhang zwischen der Leiharbeit, den Arbeitslosenzahlen und dieser Studie her.

Denn vor allem die Leiharbeit, die niedrigen Löhne und das einseitige Begünstigen der Arbeitgeber-Seite hat zu dieser Entwicklung geführt. Man kann nicht wirklich überrascht sein, hat man doch im neoliberalen Diskurs immer genau jene Entwicklungen gefördert und politisch den Weg bereinigt. Ich erinnere mich doch gut daran, wie die Leih- und Zeitarbeit damals als probates Mittel zur Wirtschaftsförderung diskutiert wurde und dass man dann auch die Arbeitslosen aus ihrer „Stagnation“ holen wollte und ihnen langfristig den Weg in ein reguläres Arbeitsverhältnis eröffnen würde. Wie zynisch und verlogen kommt einem die damalige Diskussion vor, wenn man sich die heutigen Entwicklungen und Zahlen anschaut. Noch mehr wundert es mich aber, dass die Deutschen das anscheinend immer noch nicht kapiert haben und weiterhin bereit sind, von ihrem ohnehin schon geschrumpften Einkommen weiterhin fleißig Steuern und Abgaben zu zahlen und damit den Rettungspaketen für Euro-Länder und Banken mit zu finanzieren. Warum regt sich an dieser Stelle nicht mehr Widerstand und ziviles Aufbegehren? Die Stuttgart 21 und Atomkraftgegner- geübten Wutbürger haben das doch mittlerweile recht gut drauf…

Auch die Diskussion um den beliebten „Fachkräftemangel“ scheint vor diesem Hintergrund fragwürdiger denn je zuvor. Wenn man sich wirklich so um Fachkräfte sorgen würde, wäre man auch bereit für „anständige Arbeit anständige Gehälter“ zu zahlen und würde ganz allgemein den Wert der Arbeit durch Geld wieder höher bewerten. Auch die Ausbildung der schlechter Qualifizierten und die Investitionen in ein gutes Schulsystem und ein leistungsfähiges Hochschulwesen wäre dann kein Problem mehr. Der Wert der Arbeit und der Qualifizierten wird anscheinend nicht richtig erkannt und/ oder wertgeschätzt, wie sonst kann es sein, dass man plötzlich „völlig überraschend“ (nach dem Ende Wehrpflicht und des 12-jährigen Abiturs) mit einem Ansturm auf die Unis konfrontiert wurde und die vielen jungen Menschen, die was lernen wollten, nicht mehr unterbringen konnte?  Anstatt jetzt mehr Geld in die Lehre zu pumpen und weitere Professoren anzustellen oder die Räume zu vergrößern, vergibt man demnächst lieber strengere Zulassungsbeschränkungen oder erhöht die Gebühren. Ähnliche Entwicklungen und Beschränkungen „vom Geiste“ her finden wir bei der derzeitigen Einwanderungs- und Integrationspolitik. Man kann nur hoffen, dass die Menschen im Ausland das integrationsfeindliche Deutschland als solches entlarven und einen großen Bogen darum machen werden.

Was wir derzeit ganz allgemein sehen können ist ein Ausufern des Niedringlohnsektors und immer schlechter werdende Arbeitsbedingungen bei rückläufigen Löhnen. Der allgemeine Wirtschaftsaufschwung kommt also bei den Menschen überhaupt nicht an und diese Spaltung der Gesellschaft in Gewinner und Verlierer der Wirtschaft ist sozial und menschlich höchst gefährlich. Wenn diese Politik so weitergeführt wird, gibt es bald 99% Verlierer und nur noch ein Prozent Gewinner.

Nehmen wir als weiteres Beispiel die Pflegeberufe, die es immer wieder in die Schlagzeilen schaffen. Im Schnitt verdient ein Altenpfleger ca. 1800 Euro brutto (Quelle ). Das ist kein fürstliches Gehalt, wenn man den geleisteten Arbeitsaufwand anschaut oder sich diese Nachricht durchliest, aus der hervorgeht, dass nur 5,6 Prozent der Befragten in diesem Job keine Überstunden leisten.

Dazu gekommen ist es z.B. dadurch, dass man in den Jahren 1996 bis 2008 14,2 Prozent der Pflegekräfte abgebaut, aber die Zahl der Klinikärzte um 26 Prozent erhöht hat. Ein besseres Beispiel für die faktische und reale Abwertung dieses Berufszweiges kann es nicht geben und für die Betroffenen wird es zu einer massiven Mehrbelastung führen, die das Ansehen des Berufes weiter schmälert.

Noch schlimmer ist die Lage, wenn man global denkt und feststellt, dass weltweit sogar vier Millionen Pflegekräfte fehlen.

Der „Fachkräftemangel“ ist also kein regionales oder nationales Problem, sondern menschlich und wirtschaftlich ein weltweites Problem. In Afrika treten 24 Prozent aller Krankheiten auf, aber nur drei Prozent des Pflege-Personals arbeiten dort. Und jetzt hat man noch den Mut, ausländische Fachkräfte in diesem Sektor abzuwerben.

Die grandiose Idee der Politiker zur Lösung dieses Problems lautet schlussendlich, die ungebildeten Arbeitslosen im Pflegebereich einzusetzen .

Vielleicht sollte man lieber ein freiwilliges soziales Jahr für Politiker verordnen, damit sie mal sehen, wie die Realität vor Ort wirklich aussieht?

Fazit
Man kann also nicht wirklich sagen, dass es „nicht unsere Krise“ wäre. Es ist unsere Krise und wir sind mittendrin, verbunden z.B. über die Löhne, die Lebenshaltungskosten, die Struktur der Gesundheits- und Sozialsysteme, die Energiepreise und allgemeinen Arbeitsbedingungen. Letztendlich über den Maßstab, was wir mit unserem Geld noch bekommen und wie der Wert unserer Arbeit im Vergleich zum Kapital bemessen wird.

Es gibt viele kleine Baustellen und Puzzlestücke, die diese zum Teil fatale Vernetzheit verdeutlichen. Jeder ist betroffen, egal an welcher Stelle und an welcher Position.

Ein Gedanke zu „Das ist nicht unsere Krise – II“

  1. Hallo Julia,

    starke Artikel (ich nehme auf beide Krisen- Artikel Bezug), die die Ratlosigkeit und die Wut vieler zum Ausdruck bringen.
    Auch mir geht es bei Wirtschaftsthemen der Nachrichten seit geraumer Zeit ähnlich, auch ich suche nach Erklärungen, denn bis jetzt war von allem Möglichen die Rede nur nicht von den wahren Ursachen und Hintergründen.
    Normalerweise werden ja die Wirtschaftskrisen eines Landes von einem anderen, mächtigeren gesteuert und gefördert; so eine Art Krieg ohne Waffen, auch Konkurrenz genannt. Und so habe ich mir all die Monate gedacht, hinter der europäischen Krise wird vielleicht die USA stehen, die ja den Europäern schon immer sehr starke Konkurrenz gemacht hatten.
    Aber nun: Die USA stehen selbst gewaltig unter Druck!
    Man spricht über dem großen Teich von sogenannten „Blasen“, zum Beispiel in der Immobilienbranche, das sind Kredite, die vergeben wurden, ohne dass jemals ein wahrer Wert als sichernde Grundlage zur Verfügung gestanden war – und diese Kredite werden weiterverkauft, es gibt da einen regen Handel mit Krediten, die zwischen den Börsianern und Firmen verschoben werden. Das Problem an der Sache ist aber nur: Wenn mal ein Kredit fällig wird, entdeckt man, dass er nicht gedeckt war, also keinen tatsächlichen Wert als Grundlage hatte. Und dann platzt die Blase und eine ganze Nation (die USA) kommt ins Wanken und reisst die halbe Welt mit in die Krise, da ja alle Länder stark von ihr abhängig sind.
    So ungefähr habe ich die Erklärungen der letzten Zeit verstanden gehabt, warum es vor zwei Jahren zur weltweiten Wirtschaftskrise gekommen war.
    Wir alle bekamen sie zu spüren, du beschreibst die Auswirkungen auf uns „kleine“ Bürger sehr gut.
    Inflationsraten steigen, Steuern werden „angezogen“, die Arbeitslosenzahlen explodieren, etc.
    Erstaunlich fand ich in diesem Zusammenhang auch unsere Politiker (ich komme aus Österreich): Seit ca. einem Jahr wird ständig von der vergangenen Krise gesprochen, so, als ob wir sie längst überstanden hätten. Da heißt es oft: Unser Land hat die Krise gut durchgetaucht. Dass alles eklatant teurer geworden ist, dass die Armut stark gestiegen ist, dass es ein Heer von Arbeitslosen gibt wird so schöngeredet.
    Ich habe erst kürzlich eine Statistik gelesen (sorry, ich bin nicht so gut im Recherchieren wie du, kann sie also nicht verlinken), dass im Zuge der Krise die Armut in Österreich stark gestiegen ist – aber auch die Anzahl der Millionäre. Finde ich doch bemerkenswert, dass es Leute gibt, die auch noch aus dem Unglück aller anderen Profit für sich selbst schlagen können!
    Wie diese Menschen das machen – das sollte man mal hinterfragen, denn da kann es sich nur um Fehler im politischen und wirtschaftlichen System handeln.
    Wie es mit der EU weitergehen wird ist wohl sehr ungewiss. Mein durch Lebenserfahrung erworbener Pessimismus sieht leider noch kein Licht am Ende des Krisentunnels.
    Auf jeden Fall wird es für uns alle noch teurer werden, denn das eine war schon immer so: Die, die keine Lobby haben und die wahre Wertschöpfung eines Landes ausmachen, also wir alle, die jeden Tag in die Arbeit müssen, werden zur Kasse gebeten werden für die Verfehlungen der Politiker und Wirtschaftstreibenden.
    So gesehen ist es tatsächlich „unsere“ Krise.

    Was können wir dagegen tun?
    Ich fürchte nicht viel. An den Wahlurnen die richtige Partei wählen (nur welche kann man schon guten Gewissens wählen?), die Stimme erheben, wie zum Beispeil hier in deinem schönen Blog und im Bekanntenkreis. Und brav Steuern zahlen…

    Viele Grüße,

    Cathi

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